Samstag, 24. Juni 2017

Deutscher Humanistentag - sehr schön und wirklich human

Ich bekomme ja immer unseren Newsletter, in dem alle Veranstaltungen des Monats drinstehen. Wenn dieser kommt, heißt das Arbeit, denn es dauert eine Weile, bis ich das alles durchgelesen habe, und bis ich mir dann die zahlreichen Veranstaltungen raus gesucht habe, die ich besuchen möchte. Auf der einen Seite denke ich immer, hoffentlich ist nicht so viel dabei, denn sonst muss ich mir so viel wieder notieren, andererseits bin ich natürlich froh, dass ich so viele Möglichkeiten habe, und zu viel geboten wird. Dann heißt es: Notizgerät rausholen, Smartphone zücken, Termine eintragen, Helfer fragen, ob sie Zeit haben, Taxi bestellen usw. Dann muss man so manche Theaterkarte bestellen, dort anrufen, hinfahren, um sie abzuholen, die Sache mit dem freien Eintritt für die Begleitperson klären usw. In diesem Newsletter hatte ich eben gelesen, dass ein Science Slam stattfinden würde, und dass dies im Rahmen des deutschen Humanistentages geschehen sollte, wobei auch viele Vorträge dort für mich interessant schienen. Ganz unbedarft organisierte ich mir also meine Helfer, wer kann an welchem Tag, wobei diese sich auch untereinander Absprachen, wer welche "Schicht Anführungszeichen übernimmt. Denn der Tagungsort wäre wahrscheinlich zu groß, um alleine von einem Saal in den anderen zu finden, mich zu verpflegen, die Toiletten zu finden, einen Platz zu finden usw. Mich dann immer durchzufragen und irgend jemanden zu suchen, der mir von den Teilnehmern hilft, schien mir zu anstrengend. Ich habe ja genügend Plusstunden , so konnte ich mir die Assistenz auch leisten. Die Dimensionen dieser Tagung waren mir überhaupt nicht klar, ich ging halt einfach mal hin. Es war auch noch nicht ganz klar, ob ich die ganze Zeit würde dort sein können, denn eigentlich hätte am Samstagvormittag ein Chigong Kurs stattgefunden, den ich nicht schon wieder verpassen wollte, und am Freitag hatte ich solche Zahnschmerzen, dass ich eigentlich noch die Zahnarztpraxis aufsuchen wollte, wobei man mich dort beruhigte, als ich anrief, dass dies normal sei nach so einem Eingriff. So entschied ich mich, mit dem bereits vorbestellten Taxi gleich zum Tagungsort zu fahren und nicht erst zum Zahnarzt. Als ich dort ankam, hätten sie mich sogar fast kostenlos reingelassen, aber ich sagte, dass ich auch eine Begleitperson haben würde, die erst um 15:00 Uhr kommt, und dass es wichtiger sei, dass diese freien Eintritt hätte. Ich sei bereit zu zahlen. Die Frau meinte etwas lächelnd, was sei ich den bereit zu zahlen, woraufhin ich zurückfragte, was kostet es denn. Es hätte 150 EUR gekostet, und ich wäre fast nach hinten gekippt. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Eigentlich hatte ich nur von dem Science Slam gehört, wobei es ums Thema Verschwörungstheorien und um kommunizierende Bakterien gehen würde. So nebenbei habe ich dann eben auch gesehen, dass der Humanistentag stattfindet, und die Vorträge interessierten mich eben auch, so dachte ich, warum eigentlich nicht. Die Themen waren beispielsweise : Identität Muslima , Umwelt, dürfen Humanisten Krieg führen, was ist Glück, gerechte Wirtschaftsordnung, humanistisch strafen usw. Solche gesellschaftlichen Themen interessieren mich immer sehr, obwohl ich nun keine ausgewiesene Humanistin bin, da ich noch nicht mal genau weiß, wie man das genau definiert. Zumindest weiß ich, dass die Humanisten wie auch ich dafür sind, dass Staat und Kirche streng voneinander getrennt werden, und jeder seine Religion privat ausüben darf. Ich hatte also mehrere Begleitpersonen aus meinem Stamm von Assistenten organisiert, wobei am ersten Tag meine Helferin erst um 15:00 Uhr kommen konnte. Ich dachte mir, dann setze ich mich einfach in den Saal mit der Hauptbühne und bleibe einfach dort und höre mir alle Vorträge an, die dort gebracht würden. Während ich noch dabei war, mit der Frau den Preis auszuhandeln, wobei es dann beim Studentenpreis für 87 EUR blieb, erschien auf einmal eine Frau und sagte zu mir, sie sei meine Begleitung, man habe sie zu mir geschickt, sie hätte heute ihren Helfertag. Ich war wirklich erstaunt, wie schnell und unbürokratisch man so spontan eine Hilfe innerhalb kürzester Zeit für mich organisiert hatte, zumal ichdies gar nicht erwartet oder verlangt hatte. Sie erzählte mir, dass sie günstiger reingekommen sei, da sie einen Tag sich bereit erklärt hätte, Aufgaben in der Organisation zu übernehmen, wie zum Beispiel im Saal mitzuhelfen, oder am Eingang zu stehen usw. Sie war also sehr froh, dass sie mich begleiten konnte, da sie somit auch die Möglichkeit hatte, einige Vorträge zu besuchen. Der erste Vortrag zum Thema, ob Religion tötet, war in Englisch, und sie war aus dem Osten und hat nichts verstanden. Sie hat auch nicht sonderlich viel versäumt, es waren eigentlich nur drei Leute, die darüber klagten, dass sie ihre Freiheit nicht ausüben durften, da sie durch die Staatsreligion dazu gezwungen wurden, anders zu leben. Dies ist zwar schlimm, doch fehlten mir die genauen Fakten, um was es eigentlich genau ging. Einer war zum Beispiel Sozialarbeiter und setzte sich für Kinder ein, die wegen Hexerei getötet werden sollten. Da dies furchtbar ist, hätte ich schon erwartet, dass er genauere Angaben zu dem Thema macht und nicht nur wütend schreiend auf der Bühne sitzt und gegen den Islam wettert. Es ging auch um die Frage, ob man islamfeindlich sei, wenn man dagegen sei, dass Moslems überall in den deutschen Flüchtlingsunterkünften ihre Religion ausüben dürften oder nicht. Ich hatte etwas Angst, dass jetzt die Stimmung kippen würde, und irgendwelche PEGIDisten loslegen und dem Ganzen beipflichten würden. Aber das war zum Glück nicht der Fall. Mir fehlten einfach die sachlichen Hintergründe, vielleicht war ich die einzige, die diese halt einfach nur nicht hatte. Danach gingen wir noch zu anderen Vorträgen zum Thema , ob Humanisten im Namen der "Gerechtigkeit" Krieg führen dürfen, wobei hier sehr kompetente Redner auf der Bühne saßen, die sehr viele Fakten über den Nahen Osten bereithielten , und deren Argumentation und auch Rhetorik bis auf einen der drei wirklich faszinierend und fesselnd war. Dann ging es zum Thema Verschwörungstheorien, wobei mir hier der philosophische Überbau zu kompliziert war, und ich daher die Hälfte nicht verstand, denn ich musste erst einmal irgendwelche Wissenschaftstheorien über mich ergehen lassen, von denen ich die Hälfte geistig überhaupt nicht verarbeiten konnte. Mir war immer noch nicht klar, wie genau eine Verschwörungstheorie denn dann unters Volk gelangt, und warum es jemand schafft, eine solche Theorie zu verbreiten, wohingegen wahrscheinlich viele Menschen irgendwelchen Quatsch denken, den kein Mensch interessiert. Ich hatte am Ende mehr Fragen als Antworten. In der Pause versuchte ich, mit meiner Begleitung etwas darüber zu diskutieren, doch schien sie ziemlich genervt davon. Sie meinte, theoretisch könnte sie mich auch bis 18:00 Uhr begleiten, was meine Helferin dankbar annahm, denn bei ihrer vorherigen Kundin hat es einen medizinischen Notfall gegeben, sodass es ihr ganz recht war, dass sie erst um 18:00 Uhr kommen musste. Eigentlich wollte meine Begleitung in einen bestimmten Vortrag, und sie bat mich, ob sie mich in meinem gewählten Vortrag absetzen könnte, um dann in den zu gehen, den sie hören wollte. Ich war damit einverstanden, schlug sogar vor, ihr mein Aufnahmegerät mitzugeben, da blöderweise mal wieder 1000 Vorträge parallel liefen, die genau denselben Grad an Interessantheit aufwiesen. Das traute ich mich dann doch nicht, denn mein Milestone ist wirklich mein Kleinod, dass ich ungern aus der Hand gebe, und außerdem war ja gar nicht klar, ob wir aufnehmen durften. So fanden wir einen Kompromiss, denn wir beide fanden dann einen komplett anderen Vortrag, der uns genauso interessierte. Es ging hier um die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Auch hier traute ich mich nicht, Fragen zu stellen, da ich natürlich eher in den Niederungen eines chronisch Kranken zu Hause bin, während mich die ganzen Dinge der Informatik, Anonymisierung etc. überhaupt nicht interessieren, denn diese Probleme sind ja auch ohne Digitalisierung vorhanden, dass man einen Datensatz anonymisieren muss oder eben, wenn man dann doch die Person wieder braucht, ihn wieder mit der Person in Verbindung bringen kann. Mich hätte brennend interessiert, ob es möglich ist, endlich die Rezepte auf einem Medium zu speichern, damit ich nicht laufend für jedes Rezept zum Arzt rennen müsste, wobei dann der Arzt zum Beispiel das Rezept einfach digital mit seinem Fingerabdruck oder irgendeiner anderen Authentifizierung und Autorisierung auf meine Chipkarte oder meinem Smartphone speichern kann oder auch wieder löschen kann, und ich dann Medikamente, die ich ohnehin andauernd brauche, immer bei Bedarf, wenn sie mir ausgehen, selbständig aus der Apotheke abholen kann. Hier ergibt sich dann halt das Problem, dass auch andere Personen Einsicht in meine Medikamente haben und aus denen dann auf meine Krankheit schließen können. In meinem Falle ist das jetzt nichts, wofür man sich schämen müsste, aber zum einen gibt es eine Privatsphäre, und zum anderen gibt es auch Menschen, die zum Beispiel Krankheiten haben, die heute noch tabuisiert sind, wie z.B. psychische Erkrankungen, Alkoholismus, AIDS usw. Aber ich habe mich eben nicht getraut, solche konkreten Fragen zu stellen, da die ganze Sache viel abgehobener war als das, was ich wissen wollte. Nach dem Vortrag setzte mich die Frau dann bei einer Aufführung eines Chores ab, da sie nach meiner Helferin Ausschau halten wollte. Es war ein norwegischer Chor, der wirklich wunderschön sang. Er gab dann sozusagen den Gesang an einen anderen Chor weiter, der dann übernahm. Irgendwann kam dann meine Helferin und meinte, sie sei meiner Begleitung begegnet, die hätte sie noch gesucht. Ich fragte mich, ob sie sich denn nicht noch von mir verabschiedet, und vielleicht nochmal sagt, ob es ihr mit mir gefallen hat oder auch nicht, und ich fand es daher etwas strümpfig, dass die Begleiterin nicht nochmal mit meiner Helferin zusammen kurz mitkam, sodass ich mich von ihr noch hätte verabschieden können. Wahrscheinlich war die Frau von mir so genervt, dass sie einfach nur froh war, mich los zu sein. Am Anfang war sie noch ganz nett, aber irgendwann hatte ich dann das Gefühl, dass sie irgendwie gereizt war. Meine Helferin und ich gingen dann etwas essen, wobei ich mir vornahm, am nächsten Tag eine Flasche Mineralwasser von zu Hause mitzubringen, da die Flasche dort fünf Euro kostete. Nach dem Essen begann dann der Science Slam. Der war wirklich interessant, allerdings war die Moderation wirklich nicht sonderlich gelungen. Man wollte ein Affentheater inszenieren, spielte laufend irgendwelche Geräusche aus dem Dschungel ein, und irgendwelche Menschen in Affenkostümen sprangen über die Bühne, aber wirklich viel Sinn ergab das nicht. Der erste Teilnehmer forschte über Kriegsliteratur im Dritten Reich, wobei mir mal wieder nicht ganz klar war, ob das schon Bücher waren, die im Ersten Weltkrieg und während der Weimarer Republik geschrieben wurden und von den Nazis dann zu "Werbezwecken" missbraucht wuurden, wobei er meinte, dieses Thema sei noch nicht Erforscht worden. Mir war auch nicht ganz klar, ob es nur um Literatur ging, die den Krieg verherrlichen sollte, oder ob es insgesamt um Kriegsliteratur ging, denn "Im Westen nichts Neues“ ist ja meines Wissens nun wirklich kein Roman, der den Krieg verherrlicht. Er wurde ja im Ersten Weltkrieg geschrieben und ist bestimmt keine Werbung für den Zweiten Weltkrieg, was ja eigentlich die Nazis gerne gehabt hätten. Es gibt diesen Roman in leichter Sprache, vielleicht werde ich ihn mir mal zu Gemüte führen, denn in normaler Sprache wäre er mir, die ich mit Literatur große Probleme habe, wahrscheinlich zu kompliziert. Das zweite Thema war lustig, neben mir saß auch ein Mann, der total begeistert darüber war. Es ging um Trocken-WCs. Dabei ging es auch darum, dass Frauen früher auch im Stehen gepinkelt haben, und das bei einem Urinal kein Wasser benötigt würde. Wie man das dann trennen soll, wo doch manchmal beides gleichzeitig rauskommt, verstehe ich auch nicht. Denn der Kot wird dann für die Herstellung von hochwertiger Terra preta verwendet. Wie das dann genau passiert, ob dann die Toilette eine Schublade hat, wo der Kot vor sich hin kompostieren kann, weiß ich auch nicht. Ich würde sowas in meiner Wohnung nicht haben wollen. Aber es gibt durchaus Projekte, wo so etwas schon gemacht wird, besonders bei irgendwelchen Alternativen Tagungen etc. Dann ging es um ein spannendes Thema, nämlich darum, warum Radiobeiträge manchmal abbrechen. Der Mann erklärte dies auf fesselnde, lustige und faszinierende Weise, ich kann es aber nur in eigenen Worten erklären. Wie auch bei Flugzeugen werden manchmal Leitungen überbucht, denn nicht jeder Nutzer fährt immer das gesamte Potenzial seiner Leitung aus, sodass viel übrig bleibt, und daher die Telefongesellschaften einfach mehrere Kunden darauf buchen, als es eigentlich, würden alle alles nutzen, möglich wäre. Daher brechen dann bei Radioübertragungen manchmal die Beiträge ab, und er ahmte das wirklich gut nach. Das war mein Favorit, wobei ich schon ahnte, dass das nicht jedem so zusagen würde. Manchmal mag ich die Beiträge am liebsten, die dann vielleicht nur in der Mitte oder ganz am Ende der Favoritenliste der Mehrheit sind. Danach kam ein unglaublich langweiliger Vortrag, bei dem ich dann auch abschaltete, die Frau war wahrscheinlich eine sehr gute Promovendin, aber von Rhetorik hatte sie wahrscheinlich noch nichts gehört, und sie wirkte extrem unsicher, was sogar ich feststellte, die solche nonverbalen Signale normalerweise nicht unbedingt bemerkt. Sie erhielt auch den geringsten Applaus, das war deutlich zu hören. Dann kam der allgemeine Favorit, es ging um die Frage, wie Bakterien kommunizieren. Dies verglich sie mit einer Studenten WG. Die Bakterien senden zum Beispiel Signale aus, dann erfahren Sie, ob noch andere da sind. Sie meinte, wenn man wissen will, ob die anderen in der WG sind, schaltet man einfach mal eben das WLAN ab, wenn dann alle empört und mit Protestgeheul aus den Zimmern stürmen, weiß man, dass sie da sind. Je dreckiger die Küche ist, umso mehr Studenten sind auch da, und je mehr da sind, umso wilder wird es. Die Bakterien senden also einen Film aus, und die anderen merken das, und dann tun sie das gleiche, so entsteht sozusagen eine positive Rückkoppelung. Natürlich erhielt sie den meisten Applaus, das war mir klar, auch mir hatte der Vortrag ausnehmend gut gefallen. Am Samstagmorgen ging ich dann mit meiner anderen Helferin los, da der Chigong Kurs, den wir eigentlich noch einmal zur Auffrischung haben sollten, ausgefallen war. Somit konnte ich mir den Vortrag über die Identität von Muslimas anhören. Die Moderatorin musste in Personalunion die Rolle der Moderation und einer der Teilnehmerinnen übernehmen, da diese ausgefallen war. Das hat sie mehr oder weniger schlecht und recht geschafft, denn sie hat eine der Teilnehmerinnen laufend angegriffen. Auf dem Podium saß zum einen eine deutsche, deren Vater zum Islam konvertiert war, und die in einer neuen Bewegung war, die glaubten, dass noch einmal ein Prophet kommen würde. Die andere war eine Psychotherapeutin, eine erklärte Atheistin, die auch als einzige kein Kopftuch trug. Die dritte war eine Bloggerin, die ganz provokativ und ganz bewusst diese Rolle spielte, um eben auch auf Klischees aufmerksam zu machen. Zum Beispiel hörte ich, dass die Frauen häufig nur auf ihr Kopftuch oder auf ihre Rolle als Muslima reduziert würden. Es ging dann um die Frage, ob sie das vielleicht auch bewusst so wollten, ob sie dies provozierten, oder ob das ein trauriger Nebeneffekt war. Insgesamt fand ich die Diskussion sehr interessant. Besonders spannend fand ich die Aussage der Psychotherapeutin, eine ihrer Patientinnen habe während der Therapie ihr Kopftuch abgenommen, und daher sei sie dann nicht mehr interessant für Männer gewesen. Man habe sie nicht mehr angeschaut, sie sei eine schöne Frau mit und ohne Kopftuch gewesen, doch mit Kopftuch ließ dies wahrscheinlich genügend Spielraum für Fantasien, während dann ohne Kopftuch der Reiz weg war. Dies soll jetzt natürlich kein Plädoyer dafür sein, ein Kopftuch zu tragen. Doch denke ich, jede soll das machen, wie sie will, und die Emanzipation bedeutet nicht, dass man alles nach westlichem Vorbild machen muss, und es gibt viele Frauen, die ein Kopftuch tragen und trotzdem sehr erfolgreich und emanzipierte Menschen sind. Danach gingen wir zu einem Vortrag von Willhelm Schmied über das Glück, und da wollte ich unbedingt hin, denn diesen Mann hatte ich schon häufig im Fernsehen und in Interviews erlebt. Ich fand ihn eigentlich sehr gut und sehr nett. Einige seiner Thesen sind mir allerdings etwas zu übertrieben, so nach dem Motto, der Mensch solle nicht laufend nach Glück streben, die totale Schmerzfreiheit und das totale Glück gäbe es nicht. Wer behauptet eigentlich, dass es irgendjemand gibt, der das will? Er meinte auch, es ginge nicht darum, sein Glück zu maximieren, sondern den Genuss zu optimieren. Das finde ich sehr gut. Außerdem meinte er, der stärkste Motor sei die Liebe. Es geht halt einfach darum, nicht dauernd allem noch einen drauf zu setzen und noch einen Höhepunkt zu erstreben, da dies auf Dauer auch ziemlich anstrengend ist. Er hielt eigentlich auch ein Plädoyer für die Melancholie, und dafür, dass man nicht immer nur fröhlich sein müsse. Er meinte, die Deutschen hätten so viel erfunden, und Deutsche seien häufig pessimistisch, die Amerikaner seien diejenigen mit dem Optimismus, wir könnten eben besser den Pessimismus, was im Raum schon fast ein stolzes Raunen hervorrief. Jeder das, was er eben am besten kann. Es gäbe keine Kunst, wenn Menschen nicht unglücklich wären. Allerdings muss ich hier zu sagen, Menschen schaffen keine Kunst, weil sie unglücklich sind, sondern obwohl sie unglücklich sind. Das Unglück, welches Künstler haben, ist häufig ziemlich stilisiert. Menschen, denen es wirklich schlecht geht, sind gar nicht in der Lage, Kunst zu schaffen, kreativ zu sein, geschweige denn, diese Kunst auch noch zu vermarkten. Hier entsteht eine gewisse Verklärung von Unglück, welches dann zu Kunst optimiert wird. Das geht eigentlich nur, wenn man sein Unglück bewusst kultiviert, wenn man dann eigentlich gar nicht wirklich unglücklich ist. Das wird häufig auch bei psychisch Kranken so gesehen, das es doch toll sei, welche Kunst diese Menschen hervorbringen. Es mag einige Künstler gegeben haben, die psychische Störungen hatten, und die trotz alldem ziemlich kreativ waren, und deren psychische Störungen ihnen vielleicht auch andere Sichtweisen auf die Welt und das Leben ermöglicht haben. Das bedeutet aber nicht, dass psychisch Kranke automatisch besonders kreativ sind, oder dass sie diese Kreativität besonders gut zu nutzen wissen. Im Gegenteil, Kreativität setzt ein gewisses Maß an Glück, Wohlbefinden und Stabilität voraus. Ich glaube, Menschen, die solche Theorien haben, müssten erst einmal wirklich echtes Leid und echtes Unglück mit kriegen. Das bedeutet nicht, dass ich hier arrogant sein will, aber das bedeutet, dass man sich wirklich mal in Gebiete begeben muss, wie zum Beispiel Hartz IV, chronische Erkrankungen, psychische Störungen etc., um zu sehen, inwieweit es überhaupt möglich ist, mit und trotz dieser Erkrankungen sein Leid in Kunst zu kanalisieren. Selbstverständlich erzeugt manchmal ein gewisser Leidensdruck erst die nötigen Emotionen, um kreativ zu werden, und wenn alles immer nur eitel Sonnenschein wäre, käme wahrscheinlich ziemlich langweilige Kunst dabei heraus. Auch möchte ich hier nicht der permanenten Fröhlichkeit und dem dauernden positiven Denken das Wort reden. Aber ich glaube, ein Mensch muss einfach bewußt und in Begleitung anderer Menschen die Höhen und Tiefen des Lebens kennen, muss in der Lage sein, dass wirklich auch zu spüren, muss eine gewisse Offenheit haben, und muss auch den Schutz und den Raum dazu haben, dies gefahrlos erleben und durchleben zu können. Verbitterte Menschen, die gar nichts mehr spüren, die nur noch Groll in sich tragen, die resigniert und hoffnungslos sind, und die vielleicht auch aufgrund ihrer Konstitution überhaupt nicht in der Lage sind, Kunst zu schaffen, oder ihren Ärger irgendwie in Kunst zu formen, haben hier wirklich schlechte Karten. Nach dem Vortrag von Willhelm Schmied kam dann eine Podiumsdiskussion mit zwei Leuten, der eine war früher Gefängnisdirektor und propagiert den komplett offenen Vollzug, der andere war ein Strafgefangener aus der linken Szene, der sich als politischer Gefangener versteht und eine Gewerkschaft für Gefangene ins Leben gerufen hat, die aber auch außerhalb der Gefängnisse vernetzt ist. Beide meinten, dass es sinnvoller sei, wenn Gefangene gemeinnützige Arbeit machen. Ich frage mich dann allerdings, ob es so sinnvoll ist, einen Gefangenen, der dazu gezwungen wird, in einem Altenheim oder bei Behinderten einzusetzen. Es gebe da nicht so sehr viele gemeinnützige Arbeiten, die dann noch übrig bleiben. Auch meinte der Gefängnisdirektor, eine längere Strafe wäre sinnlos, denn die meisten würden, wenn sie länger im Gefängnis wären, sowieso wieder rückfällig, daher macht es keinen Sinn, sie sonderlich lange einzusperren. Wie stuft man dann aber ab, dass bestimmte Taten auch härter bestraft werden sollen, oder dass eine bestimmte Strafe auch mehr wehtun soll? Würde man dann demjenigen einfach länger eine gemeinnützige Arbeit aufbrummen? Der Mann von der Gewerkschaft forderte auch, dass Strafgefangene den Mindestlohn erhalten sollten. Allerdings muss dann natürlich Kost und Logis abgezogen werden. Ich wäre dafür, dass genau der Tagessatz abgezogen wird, der auch bezahlt wird, wenn jemand unschuldig im Gefängnis sitzt und pro Tag eine Haftentschädigung erhält. Denn sollte derjenige dann wirklich unschuldig sitzen, würde er ja genau das Geld, das er erarbeitet hat, auch wieder zurückkriegen, denn zuvor würde ihm ja genau der gleiche Tagessatz abgezogen, den er dann als Entschädigung wieder zurückbekäme. Auch finde ich es gut, wenn Strafgefangene eine Rente erwirtschaften können, denn die Strafe ist ja abgebüßt, sobald sie aus dem Gefängnis rauskommen, und wenn sie dann keine Rente haben, würden sie ja über das Strafmaß hinaus weiter bestraft. Sie sollen ja dann aber, sobald sie draußen sind, wieder ein ganz normales Leben führen können. Ich fand es überhaupt interessant, einen solchen Ansatz zu verfolgen, denn, wie die beiden auch sagten, Gefängnis ist einfach sehr altmodisch, und im Gefängnis ist noch keiner besser geworden. Dennoch finde ich, die Leute sollten aus ihren Kreisen herausgerissen werden, denn sonst bleiben sie in ihren alten Bezügen hängen, und manch einer war sogar froh, wenn er einmal da rausgerissen wurde, und wenn er in einem Gefängnis auch mal wieder die Hilfe bekam, zur Besinnung zu kommen. Danach gab es wieder so viele Parallelveranstaltung, die mich interessiert hätten, dass es wirklich ärgerlich war. Wir gingen dann in die Veranstaltung über Luther und den Humanismus, das fand ich auch sehr interessant, wobei ich vieles ja an Hintergründen nicht hatte. Dennoch bin ich halbwegs mitgekommen, besonders belustigt war ich darüber, dass einer der ostdeutschen Redner darüber jammerte, dass Ostdeutsche nie auf westdeutschen Bühnen eingeladen werden. Mir entfuhr ein Ach Gott, das etwas ironisch klang, und einige fielen ein, und wir mussten etwas lachen. Es war auch ein Pfarrer auf der Bühne, der verteidigte natürlich die Ansichten Luthers, und insgesamt fand ich die Diskussion sehr lebendig, da jeder einmal die Sicht des anderen auch annahm. Es ging halt auch um die Streitfrage, wer nun antisemitischer war, Luther oder Erasmus von Rotterdam, wobei sie das dann dauernd gegeneinander aus spielten. Besonders geschmackvoll finde ich das auch nicht. Danach teilten wir uns dann auf, meine Helferin hatte ihren Professor entdeckt, und da wollte sie sich natürlich blicken lassen. Ich ging dann in den Vortrag über die Einwanderung, der wirklich gut war. Ich glaube, der Redner hat kein einziges Fremdwort benutzt. Er hat es wirklich geschafft, die kompliziertesten und komplexesten Sachverhalte so zu erklären, dass klein Fritzchen oder ein vierjähriges sie hätte verstehen können. Es ging einfach um die Frage, sind starre und feste Werte sinnvoll, oder sollte man sie immer neu aushandeln. Er meinte auch, natürlich müssten sich erst einmal diejenigen, die zu uns kommen, an die Werte halten, die wir zusammen ausmachen, denn sie seien ja diejenigen, die bei uns leben wollten. Aber es ginge immer um Toleranz, und es dürfe keine Toleranz gegenüber Intoleranz geben. Außerdem sei der Begriff Wert ziemlich konservativ, und man sollte einfach immer wieder Grundsätze finden, die für alle gelten, schließlich sei das Grundgesetz ja die Geschäftsordnung dieses Ladens, so drückte er sich aus. Dennoch gäbe es eben einen Unterschied zwischen einer multikulturellen Gesellschaft, wo alle einfach nebeneinander her leben, einer transkulturellen Gesellschaft, bei der man sich auf einige gemeinsame Werte einigt, oder eine interkulturelle Gesellschaft, wo man Werte miteinander austauscht, und wo man dann neue Werte zusammen schafft. Das ist mir eigentlich die sympathischste Vorstellung. Wir werden sowieso in 100 Jahren ein ganz anderes Deutschland sein. Danach holte mich meine Helferin ab und erzählte mir, dass ihre Veranstaltung etwas durcheinander ging, da es um die Frage von Werten in der Schule gegangen sei, und sich die Zuhörer darüber aufgeregt hätten, dass dem Thema Einwanderung zu viel Raum bemessen worden sei. Dann begegnete uns ihr Professor, und er überredete uns, uns doch noch etwas dazu zusetzen, sie würden noch etwas mit einigen Studenten diskutieren. Eigentlich wollte ich nach Hause, aber ich dachte, vielleicht erlebe ich hier auch einmal etwas Neues, und ich kann vielleicht doch einmal mit Menschen auf gleicher Ebene diskutieren, wozu ich ja sonst häufig nicht die Gelegenheit kriege. Ich war sogar überrascht, dass eine der Studentinnen, die dort mit ihm saßen, mich fragte, wie ich heiße. Ich reagierte zunächst erst gar nicht, da ich normalerweise nicht gewohnt bin, dass auch ich etwas gefragt werde, und schon gar nicht mehr damit rechne, und somit überhaupt keine Aufmerksamkeit darauf habe. Sie meinte, sie hätte mich für eine Anwältin gehalten, da ich so daher gekommen sei wie eine Anwältin. Wie eine Anwältin eigentlich daherkommt, weiß ich nicht. Meine Helferin meinte dann, ich könnte ja Anwältin für Blindenrecht sein. Ich meinte, dann schon eher für Sozialrecht. Prompt kam dann wieder die Frage, ob denn für blinde und für Behinderte auch etwas getan worden sei auf diesem Kongress, und ob das Thema Behinderung überhaupt vorgekommen sei. Als die Neugierde der Herumsitzenden befriedigt war, wandten sie sich wieder einander zu und unterhielten sich. Ich war darüber ziemlich frustriert, aber meine Helferin brachte dann wieder das Argument Unsicherheit an, dass man eben Berührungsängste gegenüber Behinderten hätte. Eigentlich denke ich immer, diejenigen, die mich begleiten, und die mir helfen, und die mir eigentlich Sozialassistenz bieten sollten, da ich ja auch soziale Behinderungen habe, müssten dann eigentlich meinen Frust auffangen und mit mir die Trauer über meine Erlebnisse aufarbeiten und bei mir und meinen Gefühlen bleiben. Außerdem wäre es doch schön, wenn ich mal jemanden hätte, der dann vielleicht interveniert und sagt, könntet ihr uns mal erklären, über was ihr redet, wir möchten auch was sagen oder so ähnlich. Das würde genau das Defizit ausgleichen, weswegen ich ja ebenfalls Assistenz brauche, und weswegen ich häufig nicht auf Gruppenveranstaltungen gehe, da ich ja schon weiß, dass ich hier eine Behinderung habe. Mit einer sozialen Assistenz würde vielleicht dieses Problem gelöst werden können. So fuhren wir nach Hause, und ich war dann schon etwas geknickt, aber der Rest des Tages war schön. Am nächsten Morgen kam dann eine andere Assistenz, die ich für den Sonntag organisiert hatte. Wir fuhren mit dem Taxi hin, da sie sich im öffentlichen Nahverkehr nicht so gut auskennt. Leider stellte sich dann heraus, dass nur noch eine Abschlussrede und ein paar Kurzfilme gezeigt würden, und dann würde noch ein Chor singen. Zu dieser Sunday Assembly , die vorher stattgefunden hätte, bin ich schon gar nicht hin, denn das erinnert mich schon so an einen Gottesdienst. Wenn man schon nicht an Gott glaubt oder ein gesellschaftliches Leben ohne Religion haben will, warum braucht man dann so eine Versammlung? Das erinnert mich daran, als ob ein Vegetarier, der kein Fleisch ist, dann doch vegetarische Würstchen haben will. Die Rede war aber sehr interessant, denn der Mann hat sie spontan zusammengestellt, da er für jemand anderen eingesprungen war. Er hat noch einmal auf ziemlich witzige Art mit vielen Wortspielen die gesamte Tagung zusammengefasst und auch ziemlich charmant und witzig Kritik geübt. Danach hat ein Chor gesungen, nämlich ein Projektchor, dessen Chorleiter die Menschenrechte vertont hatte. Dieser Chorleiter hat ausdrücklich betont, dass er früher immer Gospels und Spirituals gesungen hätte, und dass er so kirchlich engagiert gewesen sei, dass er aber jetzt zum Humanismus gefunden hätte. Dies kam mir so vor wie bei den Christen, die immer erzählen, was für schlimme und böse Finger sie früher waren, aber dass sie dann bekehrt wurden und jetzt ein anderes Leben führen. Es war ja doch nichts Verkehrtes daran, Gospels und Spirituals zu singen, abgesehen davon, dass solche Musik, wenn sie nicht von Schwarzen sondern von Schulchören aufgeführt wird, immer furchtbar klingt. Ich stelle also fest, dass genau dieselben Mechanismen auch umgekehrt funktionieren, dass also hier ein Paulus zum Saulus wurde. Aber ich fand seine Vertonung der Menschenrechte einfach faszinierend. Es hat wirklich gut getan, immer wieder zu hören: Anführungsstriche jeder, jeder, jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf freie Entfaltung usw.“ Wer sagt einem das schon mal so deutlich, obwohl ich zwar in einem Land aufgewachsen bin, in dem das selbst verständlich ist, aber ich doch für mich in Anspruch nehmen kann, dass man mir häufig (als Behinderte) viele Rechte abgesprochen hat oder mich für übertrieben fordernd hielt, wenn ich bestimmte Dinge auch haben wollte, wie zum Beispiel einen anspruchsvollen Beruf, die Chance auf eine berufliche Laufbahn, einen festen Freund, einen großen Freundeskreis usw. Da hat man jedoch häufig gesagt, Du übertreibst, Du willst zu viel, Du willst nur im Mittelpunkt stehen. Auch bin ich in einer Familie aufgewachsen, wo das Recht auf freie Meinungsäußerung mit Androhung von Ohrfeigen und Schlägen unterdrückt wurde oder mit abwertenden Bemerkungen, wie zum Beispiel, Du siehst doch sowieso nichts, Du kannst doch sowieso nichts beurteilen. Oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit, wozu meines Erachtens auch das Recht gehört auf den eigenen intimen Raum, wenn jeder einen einfach anfasst, wenn man es nicht will, jeder einfach an alles dran geht, sich die Leute an meinen Sachen bedienen, zum Beispiel meine frühere Putzfrau, die mir Dinge geklaut hat. Das kann man jetzt natürlich nicht mit Menschenrechten vergleichen, aber dennoch habe ich da häufig gesagt bekommen, ich sei einfach nur überempfindlich, wenn es mich gestört hat, dass man einfach über meine Grenzen ging. Daher hat mir das schon sehr gut getan, wirklich einmal zu hören, jeder Mensch ist gleich, jeder hat dieselben Rechte, jeder darf dieselben Bedürfnisse haben und dies auch äußern. Danach kamen die Kurzfilme, und das war wirklich der Hammer. Davon abgesehen, dass zwei der Preisträger es noch nicht mal für nötig empfanden, selbst zu erscheinen und stattdessen eine ziemlich schnell zusammengestellte Videobotschaft mit lauter Geräuschen im Hintergrund sendeten, waren die Filme in fremden Sprachen mit fremdsprachlichen Untertiteln, die meine Helferin mir noch nicht mal vorlesen konnte. Dennoch bin ich etwas mitgekommen, da sie mir zumindest die Handlung beschreiben konnte. Es gab einen Film eines Griechen, der einen Arzt beschrieb, der am Ende seines Lebens stand und dachte, das meiste hab ich doch versäumt. Selbst ohne sprachliche Informationen und alleine mit der Beschreibung der Bilder waren diese aussagekräftig genug, um das wirklich mit zu kriegen. Dann gab es noch ein kleines Video über Sterbehilfe, wobei die Frau eine Schwerbehinderte spielte, die in Würde sterben wollte, ehe sie irgendwo gepflegt werden müsste. Ich dachte mir, im Umkehrschluss wäre dann also ein Leben, wo einem der Speichel aus dem Mund läuft, wo man die Windeln gewechselt bekommen muss, und wo man vielleicht nicht mehr alleine essen kann, dann nicht mehr würdevoll. Damit werden die Grenzen, was noch würdevoll ist oder nicht, und der Druck , andere nicht zur Last zu fallen, irgendwann immer enger gesetzt. Allerdings bin ich dafür, dass jeder selbst entscheiden kann, was er tut. Denn es muss ja nicht immer um den Grund der würde oder der Belastung für andere gehen. Unerträgliche Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Schwäche oder einfach ein Leben, das man so nicht mehr haben will, können auch ein Grund sein, nicht mehr leben zu wollen. So häufig habe ich schon gedacht, ich will nicht mehr, und ehe ich irgend eine andere Person mit reinziehe, würde ich dann lieber in die Schweiz oder nach Holland fahren. Wenn man selbst einmal richtig krank ist, merkt man erst, dass das Leben schon an diese Grenze gelangen kann. Ich denke da heute etwas anders als früher, wo ich radikal gegen Sterbehilfe war. Denn ich denke, sterben ist ein Teil des Lebens, und daher finde ich auch, dass man, wenn man Sterbehilfe sucht, man zu einer Lebensberatung gehen müsste, bei der die Sterbehilfe mit untergegliedert ist. Erst einmal müsste man beraten werden, was alles getan werden könnte, um das Leben besser zu machen. Denn der Wunsch zu sterben heißt eigentlich, dass man so nicht mehr leben will, aber nicht, dass man gerne tot wäre. Vielleicht weiß derjenige noch gar nicht, welche anderen Möglichkeiten es gibt, und wie ihm vielleicht geholfen werden kann. Daher sollte er erst einmal darüber informiert werden. Wenn dann aber jemand immer noch sterben möchte, dann sollte man ihn auch nicht zwingen, ein Leben weiterzuleben, dass er einfach nicht mehr will. So gerät die Sterbehilfe auch aus dem Verdacht raus, nur eine sozialverträgliche Kostenersparnis zu sein, denn vorher wird ja erst einmal alles ausgeschöpft, was möglich ist. Dann hat der Chor noch einmal gesungen, und das war wirklich bewegend, das Lied hieß" Ich nehme Dich mit", und das bedeutet, dass man immer seine Freunde überall dabei hat. Auch wenn sie nicht da sind, sind sie immer bei einem, und das Lied wurde mir dann zum richtigen Ohrwurm. Es bewegte mich daher, da ich mal dran dachte, dass ich auch einige gute Freunde habe, die eigentlich geistig irgendwie immer bei mir sind. Auch wenn man oft denkt, ich bin ganz alleine, aber man hat doch ein paar Leute, an die man häufig denkt, und die einem nah sind. Wir wollten da noch einen Kaffee trinken gehen, da ich nicht einfach so nach Hause wollte, sondern einfach noch etwas beisammen sitzen. Außerdem war es ein so schönes Wetter, dass ich keine Lust hatte, im Taxi nach Hause zu fahren. So schlug ich vor, den öffentlichen Nahverkehr zu verwenden. Und als wir rausgingen, fuhr uns natürlich gleich die erste Straßenbahn wie immer vor der Nase weg. Am Sonntag kommt die Straßenbahn nur alle 20 Minuten. Ich weiß nicht, wie man es schafft, immer exakt zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu sein, vielleicht sollte ich mal ein Buch darüber schreiben. Wir entschieden uns dann, in einen Bus zu steigen, der eine ziemliche Rundfahrt macht, und irgendwann schlug ich vor, dass wir jetzt aussteigen, denn eine andere Straßenbahnlinie würde von dieser Haltestelle auch losfahren, dann könnten wir in meine Nähe fahren und dort Kaffee trinken. Als wir ausstiegen, fuhr uns tatsächlich diese Straßenbahn auch wieder vor der Nase weg. Ich sagte, wenn das jetzt noch mal passiert, dann werde ich so laut frohlocken, dass die Mauern von Jericho zusammenfallen. Ich war wirklich auf 180. Dann wurde ich natürlich gleich wieder getröstet, dass andere Schwerbehinderte noch nicht mal in den Bus einsteigen könnten, dass sie oft eine Haltestelle weiterfahren müssten, um überhaupt in den Bus zu kommen usw. Dass dies natürlich kein Zustand ist, und dass dies so schnell wie möglich behoben gehört, versteht sich von selbst. Deswegen sei mir trotzdem unbenommen, dass ich darüber wütend bin, dass ich zum einen aufgrund meiner körperlichen Verfassungsolche Schwierigkeiten habe, und zum anderen aufgrund meines schlechten Timings (aufgrund des Autismus?) eben auch häufig antizyklisch funktioniere. Ich bin immer genau dann dort, wenn es schon weg ist usw. Ich bin immer dann dick angezogen, wenn die Sonne scheint, sobald ich mich entscheide, mich jetzt dünner anzuziehen, wird es wieder kalt. Ich schaffe es einfach nicht, flexibel und schnell genug auf sich ändernde Situationen zu reagieren oder irgendwie zyklisch mitzulaufen. Irgendwann kam dann doch die Straßenbahn, und wir fuhren zu einer Haltestelle, stiegen dort aus, und dann fanden wir auch ein schönes Café. Meine Helferin erzählte mir von Pakistan, da sie einen Pakistani geheiratet hatte, und da hatte sie schon einige Abenteuer erlebt, als sie dort war. Mich faszinieren solche Geschichten immer sehr. Danach brachte sie mich nach Hause. Insgesamt war das ein ziemlich erfüllendes Wochenende, es war ziemlich bewegt, es war ziemlich viel los, und ich habe doch ziemlich viel mitgenommen. Im nächsten Jahr wird es eine Tagung geben, die sich mit dem Thema Menschenrechte befasst, da werde ich auch hingehen. Übrigens habe ich dazu nebenbei erfahren, dass dies der erste Humanistentag war, der überhaupt in Deutschland, und dann gleich in meiner Stadt stattfand. Dies war sogar ein Weltkongress, soviel mir jemand erzählte. Das hatte ich gar nicht mitgekriegt, denn ich habe einfach nur in unserem Newsletter unserer Stadt gelesen, dass im Rahmen des deutschen Humanistentags eben dieser Science Slam stattfindet, und da haben mich eben die anderen Vorträge fasziniert. Als ich meiner anderen Helferin, die mir das Programm vorgelesen hatte, erzählte, wie teuer das war, ist selbst sie erschrocken, und sie hat selbst zugegeben, dass sie gar nicht gesehen hatte, dass es was kostet. Normalerweise ist die immer total auf Draht und hätte wahrscheinlich gleich wieder gesagt, das hätte ich Ihnen auch gleich sagen können, dass so etwas was kostet. Das hat mich gewundert, dass selbst sie nicht drauf gekommen ist, wahrscheinlich war es wirklich nicht dort gestanden. Aber für mich war es sehr günstig, man war ja human, schließlich war es ja der Humanistentag, und so habe ich nicht zu viel zahlen müssen, und es war die Sache wert.

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