Donnerstag, 25. Mai 2017

Krankheiten im Kabarett

Immer wieder kommt es mir unter, dass ich irgendwelche Kabarettisten höre, die Politiker beleidigen wollen, indem sie diese mit irgendwelchen Behinderungen belegen. So sagte einmal ein Kabarettist, bei jener Veranstaltung fühle man sich schon fast wie bei Aktion Mensch, oder das Privatfernsehen seien die Paralympics des deutschen Fernsehens. Nun schaue ich keine Sportsendungen, aber selbst ich weiß, dass die Olympiade für Menschen mit Behinderungen ungeheure Leistungen zeigt. Ich habe schon häufiger an solche Kabarettisten geschrieben oder versucht, meine Bemerkungen irgendwo zu veröffentlichen. Ich habe jetzt bewusst meine Kommentare nicht anderen Betroffenen gezeigt oder sie in solchen Foren veröffentlicht, da man häufig von anderen Betroffenen, die vielleicht besser angepasst sind, als Mimose dargestellt wird. Viele möchten ja Anführungszeichen integriert Anführungszeichen werden und meinen, sie würden es sich sonst mit der Nichtbehinderten Welt verscherzen, und daher müsste man sich alles Mögliche gefallen lassen und dürfe nicht zu empfindlich sein. Man hat ja schließlich Humor zu haben. Dennoch habe ich mich nicht gescheut, unten stehenden Brief mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständige Stelle zu schicken: Sehr geehrter Herr Kabarettist (Name geändert), neulich habe ich ihre Glosse gehört . Übrigens war ich einmal auf der Gala für die Verleihung des Deutschen Hörfilmpreises(Siehe auch Beitrag hier im Blog) , wobei ich den Zuschauerpreis gewonnen hatte und somit die Reise nach Berlin und daher auch die Teilnahme an der Gala vom DBSV geschenkt bekam, und sie als damaliger Moderator der Veranstaltung auch mich als Gewinnerin aufgerufen haben. Ich war aber etwas zu schüchtern -- obwohl das normalerweise nicht meine Art ist -- , mich zu präsentieren. Mir ist in Ihrem Kommentar bei ttt etwas übel aufgestoßen. Sie haben in der letzten Sendung von Donald Trump als ADHS- Präsidenten gesprochen. Davon abgesehen, dass ich es eine Beleidigung finde, mit diesem Mann in einen Topf geworfen zu werden, da ich auch von dieser Erkrankung betroffen bin, finde ich es schon mutig, wenn auch im Scherz, eine Ferndiagnose zu stellen. Ich finde es nicht schön, dass ernsthafte Diagnosen laufend als Schimpfwörter oder als Metaphern hergenommen werden. So wird auch von Politikern häufig als autistisch gesprochen, wenn sie irgendetwas tun, was irgendjemandem nicht gefällt. Dauernd werden Krankheiten als Metaphern benutzt, so spricht man auch vom Krebsgeschwür der Gesellschaft. Wer ernsthaft krank ist, finde dies nicht lustig. Ich finde es witzig, wenn man mit den Menschen lacht, und wenn man auch einmal einen Scherz über eine Erkrankung macht, wenn man die Leute dabei mitnimmt, weil man weiß, was Sache ist, und wie es den Leuten geht. Dauernd aber irgendwelchen Leuten irgendwelche Ferndiagnosen an zu heften und irgend ein unerwünschtes Verhalten mit irgend einer Erkrankung zu assoziieren, finde ich ein falsches Signal. Denn so werden Menschen, die diese Erkrankung tatsächlich haben, in eine Ecke gestellt. Auf der anderen Seite werden Menschen, die diese Diagnose dringend bräuchten, dann nicht diagnostiziert, da sie nicht das typische Klischee dieser Erkrankung erfüllen, wie Klein Nick sich so jemanden vorstellt, und wie diese Störung in den Medien dauernd kolportiert und dargestellt wird. Es gibt so viele Formen von ADHS, wie es Menschen mit ADHS gibt. Und ob Donald Trump dazugehört, können nur Psychiater entscheiden, und das sind sie ja wahrscheinlich nicht. Die Politik dieses Präsidenten ist höchst riskant, er hat ziemlich unangenehme Eigenschaften, trifft fürchterliche und folgenschwere Entscheidungen, handelt unüberlegt, führt sich auf wie der letzte Henker, all dies kann man im Rahmen der demokratischen Grundordnung sagen, ohne eine Klage wegen Beleidigung zu riskieren. Was jemand tut, kann man kritisieren, aber man sollte ihm kein Etikett anheften, und schon gar kein falsches, das dann wieder negativ auf Personen zurückfällt, die wirklich diese Störungen haben und durchaus der Hilfe bedürfen. Übrigens haben Menschen mit ADHS auch wunderbare Eigenschaften. Viele berühmte Menschen waren wahrscheinlich von dieser Variante des Menschseins betroffen, die allerdings Besseres und mehr geleistet haben als ausgerechnet Donald Trump. Ohne Menschen mit ADHS gäbe es wahrscheinlich viele Erfindungen nicht, da sie oft quer denken, etwas riskieren oder auch einmal die Konventionen durchbrechen. Das würde ein positives Bild auf diese Menschen richten, anstatt sie, die es sowieso schon schwerer haben, durch falsche Klischees und Assoziationen mit irgendwelchen unangenehmen Menschen auch noch in irgend eine blöde Ecke zu stellen. Denken Sie mal darüber nach, bevor immer wieder Krankheiten als Metaphern oder Vergleiche oder Etikettierungen hergenommen werden, was eine Unsitte sowohl des Journalismus als auch des Kabaretts ist, oder dass laufend irgendwelche sperrigen Persönlichkeiten mit irgendwelchen Labels wie Tourette oder Autismus belegt werden. Meines bescheidenen Wissens hat Suzan Sonntag, oder wie immer man diese Dame schreibt, einmal einen Essay über Krankheit als Metapher geschrieben. Solche Metaphern finde ich äußerst unglücklich. Mit freundlichen Grüßen

Mittwoch, 24. Mai 2017

Mein Auslandssemester, das ein Jahr wurde

da ich während meines Studiums ein Stipendium des Deutschen akademischen Austauschdienstes (DAAD) erhalten hatte, was ziemlich schwierig war, dies zu kriegen, habe ich hier unten diesen Text verfasst. Denn es findet zu dieser Zeit eine Tagung zum Thema studieren im Ausland statt, wo unterschiedliche Gruppen von Studierenden ihre Beiträge vorbringen können. Auch Erfahrungsberichte wurden gesammelt, so habe auch ich mich bemüßigt gefühlt, meine damaligen Erfahrungen niederzuschreiben und auf der weiter unten angegebenen Homepage veröffentlichen zu lassen. Damals musste man in mehreren Ausführungen, was noch mit Kohlepapier oder Durchschlagpapier geschehen musste, einige Bögen ausfüllen und mehrere Empfehlungen von verschiedenen Dozenten bekommen, außerdem musste man an einem Auswahlverfahren teilnehmen und mehrere Aufgaben, wie zum Beispiel einen englischen Aufsatz schreiben, erfüllen, um ein solches Stipendium zu erhalten. Dafür erhielt man dann um die 1000 DM monatlich während eines Semesters im Ausland. Hier folgt nun mein Bericht, welche Herausforderungen ich dort bewältigt habe, und welche Erfahrungen und Eindrücke ich dabei gewann. Von ungefähr September 1993 bis Juli 1994 war ich für eigentlich nur ein Semester, also zwei Trimester über den Deutschen akademischen Austausch Dienst in England. Eigentlich hatte ich überlegt, ob es Irland oder Schottland werden sollte. Denn ich höre leidenschaftlich gerne irische und schottische Musik, wollte aber eben auch mal was anderes als immer nur irisch und Irland. So begründete ich meinen Wunsch, nach Edinburgh zu gehen mit dem Interesse an schottischer Kultur und Musik. Leider wurde es aber dann Southampton. Die im Krieg ziemlich stark zerstörte Stadt direkt am Meer in der Nähe der Isle of Withe hat nicht gerade ein besonderes Flair. Mit Erstaunen las ich den vielfarbigen Prospekt der Universität, in dem auch stand, dass es eine "disabled unit" geben würde, die direkt in der Nähe der Universität sein würde. Ich dachte, das ist doch ideal, die sind da wirklich schon fortschrittlich. Ich rief mehrmals in Southampton an, um nachzufragen, wo ich denn nun wohnen würde. Ich bin in solchen Dingen sehr ungeschickt, wobei mittlerweile zusätzlich zu meiner Blindheit heute auch noch eine ADHS und ein atypische Autismus diagnostiziert wurden, die mir wohl in diesem Fall mal wieder zur unsichtbaren Barriere geworden waren. Irgendwann hörte ich dann bei einem Anruf in irgendeinem Office den genervten Ausspruch: "The German girl again…" Bis kurz vor meiner Abreise hatte ich keinerlei Informationen darüber, wo ich denn untergebracht sein würde. Erst kurz bevor ich los fuhr, erhielt ich über die Post ein Fax mit der Adresse des Studentenwohnheims. Als ich dann dort ankam, stellte ich mit Schrecken fest, dass das Studentenwohnheim so groß war wie meine gesamte Uni in Deutschland. Denn ich habe Englisch und Spanisch mit Fachrichtung Medizin in Germersheim, einem ausgelagerten Fachbereich der Johannes Gutenberg-Universität Mainz studiert. Dort war alles klein und überschaubar und sehr familiär. Ich wurde also quer durch das ganze Gelände geführt, musste einige Treppen zum Haus hochgehen, wurde dann in den zweiten Stock gebracht, wo ich mehrere kleinere sogenannter "flats" durchqueren musste, bis ich endlich in meinem Wohntrakt angekommen war, den ich mir mit vier anderen Studentinnen teilen sollte. Dort gab es eine Küche mit altem Gasherd, und die Badewanne hatte keinen Duschschlauch. Mein Zimmer war aber sehr groß, geräumig und sehr hell. Ich habe mir dann auch die dementsprechenden Einrichtungsgegenstände wie einen "Bean-Bag" Als Sitzgelegenheit , Mehrfachsteckdosen, eine Stehlampe , Wasserkocher, Radio, Duschschlauch etc. besorgt, um es mir so gemütlich wie möglich zu machen. Denn bis zu Hüfthöhe sah man diese in England ganz typischen Ziegelmauern sogar in den Innenräumen. In den nächsten Tagen galt es, den Weg zu der Universität zu finden, der 20 Minuten lang war. Er führte außerdem entlang eines problematischen Gebietes, dem sogenannten Flower-Estate, wo die unterprivilegierte Schicht Englands lebte, die nicht gerade gut auf die Studenten zu sprechen war, die auch teilweise ein arrogantes Verhalten dieser Personengruppe gegenüber an den Tag legten. Daher war es auch nicht ganz ungefährlich, zumindest von der einen Seite der Straße her. Der Prozess, sich einzuschreiten und alle Kurse auszusuchen, war etwas schwierig, denn man hatte ein ausgedrucktes Computerformular mit der richtigen Kursnummer auszufüllen und sich dann in der richtigen Schlange anzustellen. Alles schien recht umständlich. Irgendwann hat es aber dann doch funktioniert. Später sah ich dann auch meinen Tutor, mit dem ich schon einmal telefoniert hatte. Ich traf dann auch die anderen deutschen Mitstudenten, die aber mir gegenüber als behinderter nicht sehr aufgeschlossen waren. Zum Beispiel fragte ich sie, wo geht ihr denn nachher hin, worauf man mir sagte, man wisse es nicht. Später sah ich dann alle zusammen in der Cafeteria sitzen. Die erste Zeit war ich sehr alleine. In England war es damals üblich, dass die Studenten sich in verschiedenen Gruppen, den sogenannten "Societies" zusammentaten, verschiedenen Interessen gemeinsam nachgingen, und es gab ein sogenanntes Union Building, in dem es auch Einkaufsmöglichkeiten auf dem Campus , sowie auch auf dem Gebiet der Studentenwohnheime, gab, die aber etwas teurer warenals außerhalb, und es gab Anlaufstellen, in denen man sich zu verschiedenen Problemen beraten lassen konnte, oder Bereiche, in denen man sich einfach zum Quatschen aufhielt. Im Union Building habe ich mir später auch Hilfe und Beratung geholt, was die Eingliederung und was die Unterstützung in Form eines Mobilitätstraining angeht. Die erste Zeit war ich wirklich sehr einsam, was mich teilweise wirklich verzweifeln ließ. Sogar der Uni-Pfarrer , der mich einmal weinend am Kaffeeautomaten stehen sah, hat dies bemerkt und mich angesprochen und das dann auch den Studentenberatern weiter erzählt. Die kümmerten sich dann darum, dass ich über die Stadt Southampton kostenlos eine Mobilitätstrainerin zur Verfügung gestellt bekam. Diese war auch Trainerin für Lebenspraktische Fähigkeiten, LPF, und lehrte mich dann auch, den für Blinde nicht ganz ungefährlichen Umgang mit dem Gasherd. Sie meinte aber, den Grill solle ich auf keinen Fall benutzen, der über dem Gasherd hin, da dieser schon weiß vor Schimmelwar, es sei denn, ich hätte vor, an einer Lebensmittelvergiftung sterben zu wollen. Die Mitbewohner legten auch immer ein Stück Alufolie darauf, wenn sie etwas Briten. Auch zeigte mir die Mobilitätslehrerin, wo man billiger als auf dem Campus seine Lebensmittel besorgen könnte. Ich lernte dann auch den Umgang mit den Waschmaschinen und den dazugehörigen Münzautomaten. Da ich in meinem Rapunzelturm sehr abgeschlossen war, hatte ich große Mühe, zu den abendlichen Veranstaltungen zu gehen. Zusätzlich hatte ich zu dieser Zeit auch noch ein langandauerndes Pfeiffer'sches Drüsenfieber, eine damals nicht erkannte EBV-Infektion, dass ich bereits im August 1990 bekam, und das chronisch geworden war. Ich konnte zwar überall teilnehmen, litt aber immer noch an häufigen wiederkehrenden Infekten, einer gewissen Muskelschwäche und Gelenkschmerzen. Zu Beginn regnete es andauernd, so das ich mich ständig erkältete. Zum Glück hatte die Universität einen eigenen Medical Center. Eine nette englische Studentin hatte zuvor den Weg von meinem Studentenwohnheim zur Universität mit mir geübt. Ich wollte aber auch abends an den Veranstaltungen teilnehmen, und es war schwierig, sicher und trockenen Fußes wieder nach Hause zu kommen. Es gab zwar einen Pendelbus zwischen der Universität und meinem Studentenwohnheim, aber es war ein Kampf ums Dasein, im Darwin'schen Sinne, einen Platz in diesem Pendelbus zu ergattern. Meine Argumente, ich müsse unbedingt mitfahren, da ich nicht alleine mit Nachtblindheit und anderen Problemen 20 Minuten durch die Gegend laufen könnte, wurden von den Mitkämpfern meistens mit den Sätzen abgeschmettert, das geht uns auch nicht anders. Wenn nicht oft Studenten mit sozialer Ader dagewesen wären, die mir in den Bus geholfen hätten, hätte man mich wohl eiskalt nachts durch die Gegend laufen lassen. Somit ging ich zu der Verwaltung der Studentenwohnheime und fragte, ob ich nicht in das Studentenwohnheim für Behinderte in der Nähe der Uni umsiedeln könnte. Mir wurde gesagt, das ginge nicht, da ich nur für zwei Trimester da sei. Außerdem würde es die Integration der Behinderten Studierenden gefährden, da ein gewisser Proporz an Nichtbehinderten Studenten ebenfalls dort leben müsste, um den Behinderten behilflich zu sein. Meine Integration, die ich dann keine Teilhabe an abendlichen Veranstaltungen genießen könnte, stand hier nicht zur Diskussion. Ich erklärte der Frau, dass ich fast blind sei, dass ich aufgrund eines chronischen Infektes häufig Muskelschmerzen und Gelenkschmerzen hätte und mich häufig erkälten würde, und dass ich daher nicht jede Nacht so weit laufen könnte. Da meinte die Koordinatorin der Studentenwohnheime, warum ich denn dann überhaupt hierhergekommen sei, wenn man gewusst hätte, dass ich so behindert bin, wäre sie sicher, man hätte mich nicht genommen. Ich war geschockt und rannte weinend heraus. Ich setzte mich dann eben mit dem bereits erwähnten Beratungszentrum im Union Building in Verbindung, die dann einige Hilfestellungen einleiteten. Unter anderem sollte ich in meinem Zimmer ein Telefon bekommen, damit ich um Hilfe ersuchen könnte, wenn ich eine Begleitung zu Veranstaltungen gebraucht hätte, oder wenn ich zum Beispiel hierfür bekannte oder sonstige Menschen hätte anrufen wollen. Mir wurde zugesagt, dass ich so ein Telefon erhalten würde, die Rechnungen monatlich natürlich selbst bezahlen müsste. Das fand ich nur fair. Als dann die Monteurin mit dem Telefon kam, hieß es, ich müsse die Rechnung selbst zahlen, ich hätte ja schließlich kein augenärztliches Attest bei meiner Anmeldung an der Universität mitgeliefert. Hinterher stellte sich heraus, dass die Sekretärin des deutschen Departments während meiner Anmeldung verstorben war, und dass dadurch einige Informationen verloren gegangen waren. Einige Studenten, besonders unsere Subwardens, also die einzelnen Flursprecher, unterstützten mich darin, ein Telefon zu beantragen, und auch mein Tutor half mir. Auch die Sekretärin des englischen Departments ermutigte mich dazu, für meine Rechte zu kämpfen. Irgendwann bekam ich dann die Installation des Telefons finanziert, und ich wies darauf hin, dass diese Telefonleitung ja später bleiben würde und ein zusätzliches Angebot für andere Studenten mit Behinderungen oder Erkrankungen, die dort einziehen würden, darstellt. So habe ich mich dann langsam durchgekämpft, ich lernte die Wege innerhalb der Universität und auch im Stadtzentrum mithilfe der Mobilitätslehrerin, konnte dann auch zu den verschiedenen Supermärkten gehen und sparte dadurch eine Menge an Geld. Ich hatte ja das Stipendium des Deutschen akademischen Austauschdienstes und mein Blindengeld für die hier ja deutlich gewordenen blindheitsbedingten Mehraufwendungen. So musste ich zum Beispiel häufig ein Taxi benutzen, da ich die Buslinien noch nicht gelernt hatte, was dann auch meine Mobilitätslehrerin mit mir machte. Die deutschen Studenten und auch die Studenten aus anderen Ländern taten sich häufig zusammen. Einmal war auch ich auf einer Party eingeladen, da einer unserer Dozenten, der sehr locker war, in seinem Haus eine Party gab. Dort sprach ich dann mit einer deutschen Mitstudentin und erzählte ihr, dass ich mich wirklich einsam fühlte. Sie war eine derjenigen, die mir von Anfang an sympathisch war. Ich hatte mich einmal getraut, sie anzusprechen, ob sie während der Pause mit mir in die Cafeteria ginge, was sie damals ablehnte. Hierüber war ich sehr traurig und entmutigt. Daher war ich froh, dass wir so eine Gelegenheit bekamen, uns auszusprechen. Sie gestand mir, dass sie häufig dachte, dass es doch schön wäre, wenn die anderen mich mitnehmen würden, aber dann würde ja alles so langsam gehen, da ich nicht schnell genug sei. Das war den Leuten zu viel. Außerdem tue ich mir mit Gesprächen in Gruppen aufgrund meiner zusätzlichen Behinderungen recht schwer. Daher hätte ich immer besondere Aufmerksamkeit oder besondere Hilfestellung gebraucht. Wir beiden machten dann einmal etwas aus, um uns auf einen Kaffee bei ihr im Studentenwohnheim zu treffen. Als ich einmal in der Stadt war, sprach mich ein Mann an, ob ich hier wohnen würde, und er sagte, dass er meinen Stock bemerkt hätte, und dass er auch eine Sehbehinderung hat. Wir verabredeten uns dann an der Bibliothek, wobei ich dann sehr traurig war, dass er nicht erschienen war. Es stellte sich doch tatsächlich heraus, dass er die Stadtbibliothek meinte, da er ja kein Student war, und ich nur die Universitätsbibliothek kannte. Mir war dieser Fehler erst dann bewusst, als wir das Missverständnis aufklärten. Wir beiden haben sehr viel miteinander unternommen, denn sein damaliges Sehvermögen war noch gut genug, um mich zum Schwimmen zu begleiten, oder um andere Dinge mit mir zu unternehmen. Es gab in England zu dieser Zeit, vielleicht gibt es das auch heute noch, Möglichkeiten, dass ein Schwimmbad für 1 Stunde pro Woche für bestimmte Gruppen vermietet wurde. Nach den Schwerbehinderten kamen zum Beispiel die Nudisten dran. So fuhren wir jeden Sonntag fast zwei Stunden mit dem ÖPNV durch die Gegend, um für 1 Stunde schwimmen zu gehen, denn als fast blinde schaffe ich es nicht, in einem öffentlichen Schwimmbad sicher zu schwimmen oder mich einigermaßen zu bewegen, ohne, dass es laufend Kollisionen gibt. Irgendwann freundeten wir uns dann zu dritt an, die deutsche Studentin, mein Bekannter aus der Innenstadt und ich. Dadurch hatte ich häufig die Möglichkeit, bei einem von den beiden zu übernachten und sparte eine Menge an Taxikosten. Oder einer von beiden übernachtete bei mir, sodass er mich nach Hause begleiten konnte, ohne dann selbst wieder heimfahren zu müssen. Irgendwann stellte sich dann heraus, dass ich vergessen hatte, mich in meiner Heimatuniversität für das Folgesemester wieder rückzumelden. Nun hatte ich endlich Freunde gefunden und war nicht mehr so einsam, hatte mich eingelebt und sollte wieder weg? Das sah ich nicht ein, und da ich sowieso in meiner alten Universität für das nächste Semester nicht eingeschrieben war, blieb ich einfach bis zum Ende des zweiten Semesters. Dies wurde mir auch genehmigt, und ich konnte auch weiterhin in meinem Zimmer im Studentenwohnheim bleiben. Nun fiel die Finanzierung vom DAAD zwar weg, doch hatte ich mittlerweile genügend Möglichkeiten entwickelt, um Geld zu sparen, da der starke Mehraufwand der Anfangszeit sich erheblich reduziert hatte. Vor meiner Abreise hatte ich mit einem meiner Englisch Professoren besprochen, welche Leistungen ich abliefern müsste, damit ich einen Schein bekommen könnte. Er sagte, ich müsse drei Essays schreiben, dann könne ich einen Schein für ein Hauptseminar in Englisch erwerben. Denn ein Essay in England war damals um die fünf Seiten lang. Zu Anfang hatte ich für meine Begriffe recht schlechte Zensuren und war bitter enttäuscht. Ich hatte häufig ganz andere Vorstellungen von dem, was ich abzuliefern hatte, aber irgendwann lernte ich auch, was man von mir haben wollte. Ich genoss es, einmal nicht wie zu Hause überwiegend in die Seminare für Übersetzer zu gehen, sondern mich mehr mit Literatur oder verschiedenen Gedanken und Anschauungen zu befassen. Über die erste schlechte Note war ich so enttäuscht, dass ich eine Stufe über sah und mehrere Treppenstufen hinunterstürzte. Dies sah der nette Dozent, der die Party gab, und der gerade zufällig aus dem Fenster schaute. Er brachte mich gleich zum Medical Center, wo mich eine Schwester versorgte und meine Bänderdehnung mit dem englischen Humor kommentierte: nächstes Mal den Alkohol besser verdünnen. Auch dieser Schmerz verging schnell, auch der Schmerz der schlechten Note. Ich lernte auch bald, dass man in England seine Ansichten nicht sehr deutlich äußert. Es stand unter meinen Aufsätzen und Übersetzungen häufig: eine sehr sensible und sehr interessante Arbeit. Dennoch hatte ich keine gute Note. Irgendwann merkte ich dann, dass "sensibel" einfach bedeutet, dass es Geschwafel ist, und "interessant" bedeutet, dass die These völlig daneben ist. Wir hatten regelmäßig Stunden mit unserem Tutor, in denen wir Probleme oder z.B. die Gepflogenheiten und die Unterschiede zwischen England und Deutschland diskutierten. Viele meiner deutschen Kommilitonen, die mehr Kontakt zu den Mitstudenten hatten als ich, beklagten sich darüber, wie schwer die Kommunikation mit englischen Mitstudenten sei, da diese häufig sehr empfindlich auf unsere deutsche direkte Art reagierten. Es gab hier häufig Konflikte auf kultureller Basis, da die englischen Studenten es einfach nicht gewohnt waren, dass man ihnen auch einmal die Meinung sagt, und wir von Ihnen unsererseits erwarteten, dass sie offen und direkt mit uns umgingen. Zum Beispiel ging ich einmal ins Nebenzimmer und beschwerte mich nachts um eins, dass man doch bitteschön jetzt etwas leiser sein sollte. Dies ist in deutschen Studentenwohnheimen durchaus üblich. Prompt wurde mir ein paar Tage später zugetragen, die betroffene Studentin habe gesagt, die ist ja gar nicht so unfreundlich. Warum sie mich zunächst für unfreundlich hielt, lag an meinem direkten Auftritt mitten in der Nacht um 1:00 Uhr, wobei sie dieses Urteil revidierte, nachdem sie sich am Tag danach mit mir etwas unterhalten hatte. Ich traf auch eine deutsche Musikstudentin, die mir beibrachte, Querflöte zu spielen. So übte ich in meinem Zimmer, und ich rechnete damit, dass sich schon irgendwann jemand beschwert, wenn es ihm zu laut wird. Doch wurde ich dann zu einem unserer Flursprecher zitiert, der mir mitteilte, die griechischen Studenten hätten sich beschwert, dass mein Querflötenspiel zu laut sei. Ich ging daraufhin zu den Studenten und sagte, wenn sie etwas zu bemängeln hätten, sollten Sie sich bitte direkt mit mir auseinandersetzen. Daraufhin wurde mir entgegnet , man habe nicht gewusst, ob mir das Querflötenspiel generell gestattet sei, oder ob sie sich beschweren durften. Daher wollten sie sich beim Flursprecher absichern. Daraufhin erwiderte ich, die ich eine etwas anarchistischere Auffassung vom einfachen Zusammenleben habe, es ist egal, ob es erlaubt ist oder nicht, wenn es Euch stört, kommt bitte und sagt mir dies, und wir werden uns einig. Für mich war es ungewöhnlich, dass erwachsene Menschen solche Dinge nicht einfach untereinander regeln können. Doch sind in England die Studenten sehr jung. Die griechischen Studenten hatten zuvor eine etwas längere und ausgedehnte Feier und erhielten daraufhin eine Strafe von 60 GBP, so passten sie sich in ihrer Vorgehensweise relativ schnell an die Art der Beschwerdeführung an. Ob dies nun auf andere Universitäten oder Studentenwohnheime übertragbar und heute auch noch so ist, kann ich natürlich nicht gewährleisten. Später erfuhr ich dann, dass der Dozent, der eine Party in seinem Haus gegeben hatte, noch einmal ein paar Wochen später die Geburtstagsfeier eines unserer spanischen mit Studenten in seinem Haus ausrichtete, doch war ich von dem spanischen Geburtstagskind nicht eingeladen worden. Solche Dinge passierten mir sehr häufig, sodass ich oft von Aktivitäten ausgeschlossen wurde. Aber ich war froh, zumindest diesen kleinen Freundeskreis gefunden zu haben, zu dem sich dann auch noch ein autistischer mit Student dazu gesellte, der von den anderen häufig ausgelacht, verspottet oder hinters Licht geführt wurde. Ich hatte dann auch Kontakt zu einem anderen spanischen mit Studenten und einer spanischen Studentin, die mich später sogar einmal an meinem heutigen wohnort besuchte. Die Zusammenarbeit innerhalb der Seminare zwischen uns und den englischen Studenten war nicht immer einfach. Wenn wir in Gruppen eingeteilt wurden, versuchte ich, Beiträge zu formulieren, aber die Studenten waren im Schnitt bis zu fünf Jahre jünger als ich. Auch hatten sie damals, vor der Bologna Reform noch eine ganz andere Art der Ausbildung. Dies dürfte sich aber mittlerweile auch geändert haben. Da ich Übersetzerin für medizinische Fachtexte werden wollte, wurde mir auch gestattet, in die Medizin Vorlesungen zu gehen. Dies war für mich eine tolle Zeit und wirklich ein Genuss. Die medizinische Fakultät war etwas abgelegen vom Rest der Universität, sodass ich mir einen Tag in der Woche auserwählte, indem ich die Medizinvorlesungen besuchte. Insgesamt stellte ich fest, dass der englische Humor hier sehr zum Tragen kam, und dass die Vorlesungen sehr unterhaltsam waren. In den Medizin Vorlesungen wurde sehr viel Wert auf die sozialen Aspekte der Behandlung gelegt, den Umgang mit Patienten oder die Gesprächsführung. Dies wurde auf sehr humorvolle Weise demonstriert. Auch gingen die Studenten in Behindertenwohnheime oder hatten Kontakt zu behinderten Patienten, sie hatten Vorträge eines Soziologen, der über Behinderung sprach, und ihnen wurde auch sehr bewusst gemacht, dass sie auf die Bedürfnisse behinderter Menschen achten müssen. Von der medizinischen Fakultät lernte ich auch ein paar Leute kennen, mit denen ich zuweilen Kontakt hatte. Was mir besonders gut gefallen hat an der englischen Universität war, dass Demokratie wirklich gelebt wurde. Es gab ein Studentenparlament, wie auch an deutschen Universitäten, doch nahm jeder dort ziemlich rege teil. Es gab Abstimmungen, verschiedene Debattierclubs, und ich wurde auch einmal zu einer Großdemonstration gegen die British National Party mitgenommen. Auch kamen politische Redner zu uns, gegen die wir natürlich heftig demonstrierten, zumal dann, wenn sie von der konservativen Partei kamen. Auch hier konnte ich mich gut einbringen. Es fanden zu dieser Zeit Wahlen für das Studentenparlament statt, sodass Studenten von Zimmertür zu Zimmertür gingen, um für sich Werbung zu machen. Ich fand es sehr schön, wie hier der Parlamentarismus gepflegt wurde. Die Reden der einzelnen Mitglieder des Studentenparlaments wurden sogar über Video in angrenzende Räume übertragen. So fühlte ich mich auch relativ schnell in die politischen Aktivitäten eingebunden und bekam auch als ganz normale Studentin, zumal sogar aus dem Ausland, ziemlich guten Einblick in das, was so an der Universität vorging. An meiner Heimat-Uni gab es zu dieser Zeit den AStA, mit dem sich ein Großteil der Studierenden meiner Generation damals nicht wirklich identifizieren konnten. Meistens waren die Themen des AStA bei uns recht extrem, und die Ansichten waren auch häufig sehr extrem und wurden in einer ziemlich aggressiven Art vorgetragen. Dennoch konnten wir an meiner Universität zu Hause eine behinderten AG etablieren und hatten gute Möglichkeiten, unsere Interessen zu vertreten. Trotz der großen Schwierigkeiten, die ich bis zur Mitte meines Aufenthaltes in England hatte, möchte ich dieses Jahr nicht missen. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass ich weniger Hindernisse gehabt hätte. Auch damals gab es in England schon sehr gute Strukturen für Behinderte, zweimal die Woche gab es zum Beispiel im BBC eine Sendung von, für und mit behinderten. Das Bewusstsein war wesentlich größer als in Deutschland zu dieser Zeit, es gab überall blinden Ampeln, Rollstuhlrampen und Bodenmarkierungen. Umso härter kam mich der anfängliche Widerstand an, gegen den ich zu kämpfen hatte. Dies lag sicher auch an verschiedenen Umständen, an meinen Schwierigkeiten, die ich unverschuldet nun einmal aufgrund meiner jetzt anerkannten Mehrfachbehinderung habe, wenn ich Dinge organisieren muss, und auch an den damaligen Schwierigkeiten, schnell und reibungslos mit einer Universität in einem anderen Land zu kommunizieren, als E-Mail und Co noch nicht so etabliert waren wie heute. Wie so häufig bei mir kamen sehr viele Dinge zusammen, die meine Situation erheblich erschwerten. Ich würde mir heute wünschen, dass der Umstand, wie sehr ich mich damals durchgebissen habe, mir für mein Leben angerechnet würde. Für Arbeitgeber sollte die Tatsache, dass sich eine Studentin mit Behinderung unter diesen Umständen durchschlagen konnte, als Positivum ausgelegt werden, was aber leider nicht der Fall war. Ich habe leider nach meinem Studium keine Stelle bekommen. Ich bin mittlerweile vollerwerbsgemindert, da ich im Jahre 2006-2016 auch noch an die Dialyse musste. Somit bin ich heute auf Assistenz angewiesen, um meinen Alltag zu regeln. Für die meisten Menschen wirke ich eher wie jemand, der im Leben nicht sonderlich gut zurecht kommt, und auch der Umstand, dass ich ein Jahr in Amerika und ein Jahr in England war, trägt nicht dazu bei, dass andere Menschen mich als jemanden wahrnehmen, die auch eine gewisse Widerstandskraft hat und sich auch durchbeißen kann. Eine gewisse Achtung meiner Fähigkeiten diesbezüglich wäre schön gewesen. Im Hinblick darauf, mich im Alltag irgendwie durchzuschlagen, fruchtete der Auslandsaufenthalt, zum Beispiel habe ich dadurch auch gelernt, mich in einer anderen Stadt einzurichten und alles zu organisieren, um dort heimisch zu werden. Wenn dies meine Assistenten oder meine Familie und mein Umfeld lesen würden, wäre dies ein Wunschtraum, wenn sie mich dann vielleicht etwas mehr als starken Menschen wahrnehmen würden oder als jemanden, der sich notfalls auch mal durchbeißen kann und etwas durchhält. Wenn ich auch aufgrund meiner Erkrankungen und aufgrund des Lebens selbst heute einen Gutteil meiner damaligen Fertigkeiten eingebüßt habe. Ich glaube aber, dass heutzutage, wenn nicht gerade wieder mal alles schief läuft, solche Probleme nicht mehr in dieser Art auftreten. Mein Wunsch ist, dass solche Dinge, besonders für Behinderte, so gut wie möglich geplant werden können. Wenn auch in fachlicher Hinsicht aus Mangel an Arbeit und wegen Frühberentung mein Wissen und meine Kompetenzen nicht mehr genutzt werden können, wäre es doch schön, wenn ich zumindest durch die Erfahrungen, die ich gemacht habe, etwas mehr an Anerkennung gewinnen könnte, und damit auch meiner Umwelt etwas zu sagen hätte. Zuerst veröffentlicht auf studieren-weltweit. De: https://www.studieren-weltweit.de/tagung/mein-auslandssemester-das-ein-jahr-wurde/ Unter folgendem Link könnt ihr eure eigene Geschichte Erzählen und zum Thema Auslandsstudium mit Beeinträchtigung mitdiskutieren. https://www.studieren-weltweit.de/diskutiere-mit/geschichten-studierende-mit-beeintraechtigung/