Sonntag, 9. April 2017

Auf Punkt und Komma kommt es an

Nun war es soweit, tatsächlich ist meine Transplantation schon ein ganzes Jahr her. Daher stand die Ein-Jahres-Punktion an. In unserem Transplantationszentrum ist es üblich, dass nach einem Jahr punktiert wird. Davon abgesehen, dass dies offenbar eine der Lieblingsbeschäftigungen dieser Klinik zu sein scheint, macht dies durchaus Sinn. Bei uns wird ziemlich schnell punktiert. Ein Jahr nach der Transplantation wird so besser nachgeschaut und beurteilt, ob die Immunsuppression so passt. Eigentlich ist dies eine freiwillige Geschichte, und ich hätte dies vor einigen Monaten noch komplett abgelehnt. Denn mein Kreatinin war traumhaft. Ich hatte ja in meinem Block Eintrag über meine Rehabilitationsmaßnahme geschrieben, dass die Chef Ärztin meinte, ich sei Klassen Beste, ich hätte mit einem Kreatinin von 0,8 den besten Wert der ganzen Gruppe. Nach meiner Schilddrüsenoperation änderte sich dies doch leider. War früher ein Kreatinin von 1,18 mein schlechtester Wert und Grund zur Beunruhigung, war ich nun schon erleichtert, wenn das Kreatinin einmal bei 1,17 war. Daher entschieden wir, dass ich die freiwillig veranschlagte Jahrespunktion durchführen lassen sollte. Am 12. April 2016 wäre es genau auf den Tag ein Jahr gewesen, dass ich dort zur Transplantation war. Ich wollte aber etwas früher nachsehen, da es ja tatsächlich auch objektiv Grund gab, die Immunsuppression einmal überprüfen zu lassen, indem man das Gewebe anschaut. Dort könnten sich viele weiße Blutkörperchen sammeln, insbesondere Lymphozyten, die den Schluss zulassen, dass eine Abstoßungsreaktion vorliegt. Schließlich fanden wir eine Woche vor dem Jahrestag einen Termin am Dienstag den 4. April. Da sollte ich mich um 8:00 Uhr auf der Station einfinden. Ein paar Tage zuvor hatte ich noch eine Blutabnahme bei der Transplantationsambulanz und wurde von meinem Arzt genau aufgeklärt, wie die Punktion laufen würde, und welche Risiken entstehen könnten. Man würde mit einer kleinen Röhre, eine Art Zylinder blitzschnell in das Gewebe eindringen, wobei in der kleinen Röhre ein kleiner Haken wäre, der sich über ein seitlich an der Röhre angebrachtes Loch ein kleines Stück von der Niere klauen würde. Dies würde aber so schnell gehen, dass man es gar nicht merkt, und außerdem würde die Stelle zuvor örtlich betäubt. Dennoch hatte ich große Angst vor diesem Ereignis, denn man macht ja schließlich alles immer zum ersten Mal, und wie schon Hans Albers sinkt, „beim ersten Mal da tut's noch weh“. Danach würde mir ein Sandsack auf die Niere gelegt, und ich sollte 24 Stunden Bettruhehaben. Am Dienstag kam ich also, nachdem ich schon um 6:00 Uhr aufgestanden war und gefrühstückt hatte, mit dem Taxi an und wurde vom Fahrer direkt auf Station gebracht. Man sagte mir aber, ich hätte mich vorher anmelden müssen, denn mein Kärtchen würde ja eingelesen werden. Das ist aber immer mit der Ziehung einer Nummer verbunden, was für blinde, die meistens mit einer Anlage ohne zwei Sinne Prinzip konfrontiert werden, ziemlich kompliziert ist. So bot sich ein Pfleger an, schnell nach vorne zu gehen und mein Kärtchen einlesen zu lassen mitsamt der Befreiung. Einige der Pfleger erkannte ich wieder, andere kannten mich noch. Zunächst einmal wurde ich von der Schwester aufgenommen, und danach durfte ich meine Tasche aufs Zimmer bringen. Dann kam ein junger Arzt im praktischen Jahr, der mich ärztlicherseits aufnehmen und untersuchen sollte. Meine Medikamente hatte ich auswendig im Kopf. Als wir gerade die Liste zur Hälfte durchgegangen waren, kam die Schwester herein und meinte, es sei so weit, ich solle jetzt in den Ultraschallraum gebracht werden, dort könnte ich mich umziehen. Ich durfte dort meinen Schlafanzug anziehen, es seien nur Frauen anwesend, die Punktion würde von einer Ärztin durchgeführt. Ich war sehr froh, denn es war die Ärztin, die ich schon vom letzten Jahr her kannte, und die sehr gut im Ultraschall war und außerdem noch sehr nett. Ich fand es schön, dass ich kein Operationshemd anziehen musste, nachdem ich ja danach noch 24 Stunden in diesem Gewand hätte verbleiben müssen. Nach längerem Warten kam dann die Ärztin. Ich war schon ziemlich aufgeregt, freute mich aber, dass sie mich noch wieder erkannte. Die örtliche Betäubung tat weniger weh als erwartet. Was am meisten weh tat war, als sie mit einer kleinen Röhre die Haut herunterdrückten, um die Stelle einzuzeichnen, nachdem man sie mit dem Ultraschall als die beste Stelle für die Punktion ermittelt hatte. Danach drückte die Ärzte mit einem Skalpell testweise in die Haut, aber es tat immer noch weh. Nach 5 Minuten wiederholte sie dies, und ich dachte, dies sei nur der Test, ob die Stelle schon taub sei. Ich monierte, dass es immer noch weh tut. Ich hörte dann ein Geräusch, das sich wie eine Spielzeugpistole anhörte, und sie sagte, so würde sich dann das Gerät für die Punktion anhören. Schon bat sie die Schwester um dieses Gerät und legte eine Platte aus Plastik auf die Punktionsstelle. Ich hatte schon Angst, da ich den Stich mit dem Skalpell vorher noch gespürt hatte. Dann hörte ich das Geräusch wie aus einer Spielzeugpistole, und es war schon vorbei. Das war alles, es hat überhaupt nicht weh getan. Sie hatte zuvor mit dem Skalpell schon einmal den Stichkanal gebohrt, durch den sie dann mithilfe des Gerätes das Gewebe holen wollte. Ich war wirklich überrascht, dass ich nicht einmal den leisesten Schmerz spürte. Dann kam der sogenannte Sandsack, wobei das Wort "Sack" wirklich irreführend ist. Es handelt sich hier um ein Kirschkernkissen großes Gebilde, das auf die Niere gelegt wird. Nachdem die Schwester die Stelle noch etwas abgedrückt hatte, legte sie diesen sogenannten Sandsack darauf und bannt mir ein Leibchen um, eine Bauchbinde, die sie zuvor aufgrund meiner zierlichen Figur etwas zu schmal ausgewählt hatte. Mit einem Sandsack dazwischen hätte ich überhaupt keine Luft mehr gekriegt, denn auch ohne Sandsack war diese Bauchbinde viel zu kurz gewesen. So nahm sie eine riesengroße, die wesentlich bequemer war. Ich wurde dann so liegend ins Zimmer zurückgefahren. Nun sollte ich 4 Stunden so auf dem Rücken bleiben, danach würde noch einmal ein Ultraschall gemacht, der Sandsack würde dann entfernt, und ich müsste noch weitere 20 Stunden im Bett bleiben. Ich dachte eigentlich, das Schlimmste hätte ich überstanden. Weit gefehlt, die 4 Stunden waren wirklich die Hölle in Dosen. Die Betten waren wirklich nicht sehr bequem, und ich bekam, die ich nicht gewohnt bin, solange auf dem Rücken zu liegen, höllische Rückenschmerzen auf der linken Seite, die sich von ganz oben bis nach ganz unten zogen. Nach einer Weile musste ich auf Toilette, und eine Schwester kam, die ich schon vom letzten Jahr her kannte. Ich bat sie, ob sie mir eine Schüssel geben könnte. Sie stellte mir die Schüssel hin, und ich machte eine Brücke. Ich dachte, sie würde den Rest erledigen, da schimpfte sie schon, ich solle doch gefälligst meine Hose auch noch runterziehen. So ginge das ja schließlich nicht, das müsse ich schon selbst machen. Dann fragte ich sie, ob ich richtig auf der Schüssel säße, und sie meinte, das müssen die Patienten schon selbst beurteilen, drehte sich um und ging unfreundlich davon. Ich war wirklich in Tränen, da ich dachte, schon wieder habe ich so eine Person erwischt, die so wenig hilfsbereit ist. Ich konnte nur loslegen, nachdem ich mich fast in eine aufrechte Position gebracht hatte. Das hätte ich eigentlich nicht tun dürfen, denn ich hätte ja liegen sollen, ohne die Bauchdecke anzuspannen. Nach einer Weile kam die Schwester zurück, und ich sagte ihr, dass ich fast blind sei. Das wusste sie aber noch. Als sie mir dann half, mich zu säubern, stellte sie fest, dass im Urin Blut war. Das kann nach einer Punktion passieren, denn die Niere blutet ja, und dies geht dann mit dem Urin nach draußen. An sich ist dies kein Problem, es können sich aber Gerinnsel bilden, die dann die Blase verstopfen, und in diesem Fall müsste dann ein Spülkatheter gesetzt werden, um die Blase mit Wasser durch zu spülen, damit sich die Koagel auflösen. Die Stationsärztin kam und erklärte mir, ich müsse viel trinken, ich solle jetzt diese Flasche hier ganz leer machen, und dann stellte sie mir gleich die nächste hin. Ich hatte zuvor die Schwester gefragt, was wir tun könnten, mein Rücken Täter höllisch weh. Ich hatte eigentlich erwartet, dass die Schwester mir sagt, dass dies bei allen Patienten so ist, und dass sie daher eine Möglichkeit hätte, oder dass sie dafür ausgerüstet seien, und sie mir einen Keil oder ein besonderes Kissen bringen könnte. Stattdessen meinte sie nur lapidar, sie müssen liegen bleiben, das ist so, sie dürfen nicht aufstehen. Das wusste ich ja, meine Frage zielte auch nicht darauf hin ab, ob sie eine Ausnahme machen könnte und Gnade vor Recht ergehen lassen würde, sondern darauf, ob sie vielleicht eine Abhilfe hätte. Ich beklagte mich bei der Ärztin und meinte, ich hätte von der Krankenschwester schon einen Vorschlag erwartet, woraufhin die Ärztin meinte, das hätte sie tun müssen. Sie bat die Schwester, die hereinkam, mir doch ein weiteres Kissen zu bringen. Außerdem gab sie mir Novamintropfen gegen die Rückenschmerzen, da mir ja nichts anderes übrig bleiben würde, als die 4 Stunden auszuhalten. Ich habe einfach aufgrund meines schlechten Sehens keine gute Haltung und einen etwas verzogenen Rücken, daher fällt es mir extrem schwer, auch nur kurze Zeit auf dem Rücken liegen zu bleiben. Das Schmerzmittel half wenig, denn der Schmerz saß ja ziemlich tief. Die Ärztin versprach mir, sollte ein Katheter gelegt werden müssen, würde ich eine leichte Narkose bekommen, denn ich habe eine ziemlich enge Harnröhre. Selbst bei einer normalen Blasenspiegelung habe ich daher höllische Schmerzen. Die Aussicht, dies nun über mich ergehen lassen zu müssen, trübte meine Stimmung erheblich. Nach einer Weile kam ein Pfleger, anhand dessen Akzent ich feststellte, dass er wohl aus Spanien war. Ich sprach ihn auch darauf an, und so sprachen wir eine Weile miteinander auf Spanisch. Dies freute mich sehr, und er lobte auch mein Spanisch. Er meinte, angeblich würde ich besser Spanisch sprechen als er Deutsch, ich konnte dem nicht widersprechen, weil ich dazu zu lange hätte überlegen müssen, wie ich das genau formuliere . Er meinte, Deutsch sei wesentlich schwieriger, da musste ich ihm allerdings zustimmen. Sein Deutsch war wirklich sehr gut, besser als mein Spanisch, was ich aber, wie gesagt, nur sehr umständlich hätte ausdrücken können. Er hatte wahrscheinlich gehofft, dass ich ihm sofort widerspräche, daher brachte er den Einwand an, dass Deutsch ja schließlich wesentlich schwerer sei, was ich aber aufgrund meines Unterrichts bei den Rumänen tatsächlich auch aus vollem Herzen bestätigen kann. Zuvor hatte ich mit angehört, wie der spanische Pfleger auf dem Flur zu jemandem sagte, Frau hat ein Kreatinin von 1,6. Da bin ich furchtbar erschrocken. Als er dann bei mir war, fragte ich ihn, ob das stimmt, und er meinte, wenn er das so gesagt hätte, dann müsse das wohl auch so sein. Ich grübelte darüber nach, ob ich die Niere vielleicht geärgert hätte mit der Punktion, und sie daher mit einem hohen Kreatinin reagiert hatte. Denn so stark war es noch nie angestiegen. Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus nach der Transplantation lag es bei 1,3. Irgendwann kam dann ein polnischer Pflege herein, den ich an seiner Stimme erkannte, da ich ihn ein paar Mal im Nachtdienst erlebt hatte, als ich ein Jahr zuvor transplantiert wurde. Während meiner Reha hat mir ein mit Patient erzählt, dass dieser Pfleger total super sei, was ich damals noch nicht bestätigen konnte, da ich ihn nur kurz gesehen hatte. So richtete ich ihm schöne Grüße dieses Patienten aus und meinte, dieser habe ihn so sehr gelobt. Da freute er sich sehr. Dass er wirklich ein toller Kerl war, konnte ich bald selbst sehen. Allerdings hatte ich wahrscheinlich auch aufgrund meiner Äußerung einen Stein bei ihm im Brett, da ich ihm eben dieses Kompliment des Mitpatienten mitgeteilt hatte. Außerdem hat er sich sicher gefreut, dass ich ihn gleich wieder erkannt hatte. Nach einer Weile war mir fast schlecht vor Hunger, denn ehe die zweite Ultraschalluntersuchung nicht stattgefunden hatte, durfte ich nichts essen, falls doch etwas nicht in Ordnung war, und man hätte operieren müssen. Wobei mir die Ärztin sagte, dass selbst eine größere Blutung meistens von selbst wieder verschwindet, und dass man in seltenen Fällen nur eingreifen müsste, das aber schlimmstenfalls eben dieser Katheter gelegt werden müsste. Dafür muss man aber eigentlich nicht nüchtern sein. Dies war wahrscheinlich einfach eine Sicherheitsmaßnahme. So fragte ich den Pfleger, ob ich etwas essen dürfte, und er meinte, das ginge eben nicht. Als ich dann noch mal auf die Schüssel ging, stellten wir fest, dass kein Blut mehr drin war, und zwar schon zum zweiten Mal. Mittlerweile hatte ich nämlich mindestens 2 l Wasser getrunken wie ein indischer Wasserbüffel. So sagte er mir, ich könne jetzt zum Ultraschall, man könne jetzt die Untersuchung machen. Er würde sich sofort erkundigen. Nach einer Weile kam er wieder, jetzt ginge es zum Ultraschall. Ich fragte ihn, ob er mir , da das Mittagessen sowieso schon längst ausgeteilt worden war, ein Stück Kuchen und einen Cappuccino aus der Cafeteria holen könnte. Er meinte, jetzt könne er das noch tun, aber es würde alles kalt werden, bis ich vom Ultraschall zurück sei. Später wisse er nicht, ob das noch ginge, und er dann noch die Zeit dazu hätte. So gab ich ihm das Geld und bat ihn, den Kaffee zu holen, wenn dieser dann kalt würde, wäre mir das auch egal, besser als gar keinen. Nach einer Weile erschien er dann mit beiden Dingen im Ultraschall und meinte, die Ärztin sei noch nicht da, ich könne ja den Cappuccino und den Muffin schon einmal zu mir nehmen, dann sei der Kaffee wenigstens noch warm. Ich fand das lustig, im Ultraschallraum im Bett zu sitzen und Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen. Die Oberärztin würde gleich kommen, so wurde mir gesagt. In der Zeit, bis sie kam, hätte ich mindestens drei Stück Kuchen und drei Cappuccino vertilgen können. Als sie dann kam, streckte ich ihr meinen leeren Becher entgegen und bat sie, diesen wegzuwerfen, da ich hier ein kleines Picknick veranstaltet hätte. Langmütig nahm sie den Becher entgegen und lächelte wohl. Dann erklärte sie mir, nachdem sie den Ultraschall durchgeführt hatte, dass alles in Ordnung sei. Bei der Biopsie sei aber schon ein Ergebnis absehbar, es lägen schon die ersten Resultate vor, es handele sich um eine leichte Abstoßung. Darüber war ich sehr erschrocken. So teilte ich ihr das Kreatinin von 1,6 mit, wobei sie meinte, das habe nichts mit der Punktion zu tun, ich hätte einfach Glück gehabt, dass ich jetzt gekommen sei, man könne dies jetzt noch abfangen. Ich würde einen Cortisonstoß erhalten, man würde am Dienstag, also am selben Tag noch, damit beginnen, am Mittwoch und am Donnerstag bekäme ich dann auch noch einmal 250 mg Cortison über die Vene, danach kämen noch zwei Tage mit 100 mg und danach noch zwei Tage mit 50 mg, dann könnte ich wieder ganz normal meine 5 mg einnehmen. Ich fragte sie, ob ich dann am Donnerstag wieder entlassen würde, und sie meinte, nach der Infusion könnte ich sofort nach Hause. Denn von unserer Redaktion stand ja noch unser Weihnachtsessen an, welches wir kurz vor Ostern endlich nachholen konnten. Es war mir sehr wichtig, an diesem Essen teilzunehmen, da mir das Radio riesengroßen Spaß macht. Die Bauchbinde und den Sandsack nahm die Ärztin, so dass ich mich jetzt im Bett frei bewegen konnte, jedoch durfte ich noch nicht aufstehen. Ich fragte sie, ob das erhöhte Kreatinin, dass ich ja vorher schon mit um die 1,2 hatte, durch die Schilddrüsenoperation verursacht worden sei, woraufhin sie meinte, das sei reiner Zufall, wir Menschen tendieren dazu, Dinge, die gleichzeitig geschehen, in Beziehung zu setzen und für alles eine Ursache finden zu wollen. Die gäbe es aber nicht in jedem Falle. Ich war ziemlich traurig und wartete auf die Infusion. Die Zeit Vertrieb ich mir damit, Musik und Beiträge anderer blinder Hörer mit meinem Notizgerät zu genießen, und indem ich allen über die leichte Abstoßung über WhatsApp informierte. Der Blasenkatheter war jetzt zumindest schon mal vom Tisch, umgekehrt wäre es mir lieber gewesen zu dieser Zeit, die Schmerzen vom Blasenkatheter, dafür aber keine Abstoßung. Als nach Stunden immer noch keine Infusion kam, dachte ich, die haben mich vergessen. Ich war stinksauer. Eine Krankenschwester kam herein, und ich sagte ihr, dass ich aufgrund meiner Mehrfachbehinderung sowieso schon wenig vergnügen hätte, und dass ich unbedingt am Donnerstag entlassen werden wollte, um an diesem Essen teilzunehmen. Wenn jetzt kein Cortison käme, müsste ich bis Freitag bleiben, und ein ganzer Tag würde so verschwendet. Die Schwester wollte gerade ausholen und sagen, ich solle ihr jetzt bitte zuhören, die Ärztin sei nicht mehr da usw. Da brachte sich der tolle Pfleger wieder ein und holte tatsächlich die Ärztin. Die erklärte mir sehr freundlich, dass ein Missverständnis vorgelegen hätte. Ich hätte ihr den falschen Wert weitergegeben, ich hätte kein Kreatinin von 1,6 sondern von 1,06. Dieser Wert sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht bei ihr angekommen gewesen, aber nachdem ich ihr gesagt hätte, ich hätte ein Kreatinin von 1,6, hatte sie sich für einen Cortisonstoß entschieden. In Anbetracht der anders gelagerten Situation sei dies jedoch nicht notwendig. Daher sei auch niemand mehr gekommen, ich könne morgen nach Hause. Da meinte ich etwas verlegen, nun war doch wieder ich diejenige, die dieses Missverständnis verursacht hatte. Sie war aber sehr nett und meinte, die Hauptsache ist doch, dass alles in Ordnung ist. Es läge zwar eine leichte Abstoßung vor, es hätten sich T-Lymphozyten im Biopsat in erhöhter Zahl ermitteln lassen, doch müsse man lediglich die bestehende Medikation etwas ändern, ich bräuchte einfach mehr Advagraf. Man würde es von 8 mg auf 9 mg erhöhen. Ich war sowieso schon immer eine, die eine sehr hohe Dosis brauchte, um einen halbwegs vernünftigen spiegelhinzukriegen. So war ich erleichtert und schrieb wieder an alle, dass nun doch alles o. k. sei, ich keinen cortisonstoßbekäme und morgen nach Hause dürfte. Dann fragte ich noch den Pfleger, ob er mir mein Handy und mein Notizgerät in die Steckdose stecken könnte, und er holte sogar noch ein Verlängerungskabel mit einer Dreiersteckdose, sodass ich beide Dinge bequem einstöpseln konnte. Ich dachte, heut ist der Tag der Wünsche, am liebsten hätte ich ihn mit nach Hause genommen, da er mir wirklich jeden Wunsch erfüllen konnte. Wie der sich reingehängt hat, so etwas erlebt man wirklich selten. Wir waren schon zu dritt im Zimmer, eine der Damen war etwas komisch. Ich hatte nämlich eine Tablette zu wenig, und eine der Zimmerkolleginnen hat sich angeboten, da sie sowieso auf dem Weg ins Schwesternzimmer war, für mich nachzufragen. Da meinte die ältere Dame, „Nein, die soll klingeln, das hat ihr die Schwester extra gesagt.“ Alleine schon die Anrede fand ich unmöglich, und auch noch, dass sie sich einmischte, als mir jemand Hilfe anbot. Schließlich war dies meine Sache, ob ich die Hilfe annehmen oder ablehnen wollte. Ich hielt es für wenig sinnvoll, zu klingeln, die Schwester erst an tanzen zu lassen, ihr dann zu sagen, was ich will, so das diese wieder weggehen und mit dem richtigen Medikament wieder zurückkommen müsste. Allerdings hatte ich zu dem Zeitpunkt vergessen, dass sich an der Klingel auch eine kleine Sprechanlage befand. Diese ältere Dame, die offenbar mit 100 km/h durch die Kinderstube gerast sein musste, sprach die ganze Zeit über mich in der dritten Person per "die" , wobei ich offenbar keinen Namen hatte, den sie, im Gegensatz zu der Bemerkung der Schwester, ich solle klingeln, offenbar nicht mitbekommen hatte. Außerdem behauptete sie, man dürfe keine eigenen Medikamente von zu Hause mitbringen. Ich sagte ihr, dass die Schwester mich extra gefragt hatte, ob ich meine eigene Medikamente dabei hätte, worauf sie meinte, das habe sie nicht gehört. Ich beteuerte ihr dies, und sie winkte ab, ja, schon gut. Das fand ich ziemlich unverschämt. Wahrscheinlich war ich ihr zu beharrlich, aber ihre Märchen und Gerüchte, man dürfe dies oder jenes nicht, fand ich auch blöd. Schließlich musste ich ja wegen meiner Endometriose mein Medikament mitnehmen, das mir ja trotz der medizinischen Indikation nicht von der Kasse bezahlt wird. Daher wird sie auch im Krankenhaus nicht gestellt. Die andere Frau war aber sehr nett, ich bot ihr an, dass sie mich beim Vornamen nennt, und sie tat dasselbe, wir blieben aber beim Sie. So fand ich das passend. Wir konnten uns auch eine Weile unterhalten, ich fand sie sehr angenehm und sympathisch. Auf dem Flur hörten wir dauernd Lärm , denn im Nachbarzimmer war ein Mann, der offenbar in irgend einem Durchgangsstadium war, denn er schrie die ganze Zeit Hallo, Schwester, Hilfe usw. Es war furchtbar, auch als der freundliche Pfleger im ziemlich energisch sagte, hier seien auch noch andere Patienten, hörte er nicht damit auf. Seine Zimmerkollegen waren so von ihm genervt, dass man ihn mit dem Rollstuhl auf den Flur setzte, so das nicht nur sein Zimmer in den Genuss seiner Schreyerrei kam sondern die gesamte Station. Selbst dann, wenn die Pfleger zu ihm kamen und ihm etwas brachten, schrie er sofort wieder herum. Solche Brüller gibt es offenbar überall, denn diese Sorte von Patienten ist mir schon öfter begegnet, nachdem ich ja schon häufig im Krankenhaus war. Da ich schon so lange im Bett gelegen hatte, war ich ziemlich unruhig, genoss aber weiterhin die Hörbeiträge und die musikalischen Darbietungen verschiedener blinder Kollegen, da wir eine Zeitschrift haben, in der wir all diese Dinge sammeln. Diese war zur rechten Zeit vor Antritt meines Krankenhausaufenthaltes noch gekommen, sodass ich sie herunterladen konnte. Leider war ich zu blöd, sie auf mein Smartphone zu laden, da sie nicht zu entpacken ging, aber zum Glück habe ich ja noch mein gutes altes Notizgerät. Mitten in der Nacht kam dann noch eine vierte Patientin, eine Russlanddeutsche, die obendrein auch noch ziemlich gesprächig war, sodass wir die restlichen Stunden, bis die Schwester zum Wecken kam, auch nicht wirklich schlafen konnten. Zwischendurch hörte man immer mal wieder den Mann brüllen, so das an Nachtruhe kaum zu denken war. Als ich dies meiner Mutter erzählte, da ich häufig einmal solche Begebenheiten einfach so berichte, kam sofort wieder ein Ratschlag, ich solle doch denken, schließlich sei es doch nur für eine Nacht gewesen. Dabei erzählt man so etwas einfach nur, weil man wie jeder andere Mensch eben auch von seinen Erlebnissen berichtet. Als ich im Rahmen meiner Transplantation meiner Mutter erzählte, dass das Essen so komisch schmeckte, meinte sie, mein Vater habe im Krieg nur eine einzige Frikadelle bekommen, und die sei fürchterlich gewesen, und ich solle doch froh sein, dass ich überhaupt etwas zu essen kriege. So viel emotionale Unterstützung erhalte ich von zu Hause. Allerdings löse ich solche Reaktionen meistens bei den anderen Menschen aus, die dann nicht mitschwingen oder emotional genauso reagieren wie ich, sondern die mir dann irgendwelche Tipps geben oder mir erklären, dass dies halt immer so sei, und dass man so etwas halt öfter hat, und dass man mit so etwas eben klarkommen müsse. Das weiß ich ja auch, aber ich möchte mich einfach auf Augenhöhe unterhalten können. Am Morgen kam dann die Schwester, und danach gab es Frühstück. Im Laufe des Vormittags wurde ich von einer anderen sehr netten Ärztin noch einmal zum Ultraschall abgeholt, wobei ich schon vor der Ultraschallkontrolle hiermit meine bettruhe beenden durfte. Danach wurde entschieden, dass ich tatsächlich entlassen werden konnte. Ich stand also auf und ging gemütlich ins Bad, duschte und grämte mich ein und wollte mich gerade gemütlich anziehen, als die Schwester hereinkam und meinte, mein Zimmer würde schon wieder neu belegt, sie würde mir helfen, meine Tasche zu packen. In der Hektik konnte ich all meine Kleidungsstücke im Bad gar nicht mehr alleine wieder finden, da diese auch nicht wie zu Hause an meinem gewohnten Platz lagen. So half mir die Schwester und reichte mir die verschiedenen Kleidungsstücke an, und ich beeilte mich. Dann wurde ich mitsamt meinem Gepäck ins Foyer gesetzt, wo ich dann auch gleich mein Taxi rufen konnte, nachdem mir gesagt wurde, dass die Ärztin noch einmal zu einer Besprechung zu mir kommen würde. Sie ging gerade an mir vorbei und meinte, ich sei auch gleich dran. Gleich ist aber im Krankenhaus ein wirklich dehnbarer Begriff. In der Zwischenzeit war schon der Taxifahrer angekommen. So fragte ich im Schwesternzimmer noch einmal nach, und sie riefen bei der Ärztin an. Diese kam dann auch sofort und meinte, sie habe mir doch gesagt, dass sie gleich da sei. Ich sagte ihr, das wüsste ich, aber mittlerweile sei eben bereits der Taxifahrer gekommen, und der wartet. Sie war sehr freundlich und erklärte mir noch einmal, dass es sich um eine Borderline-Abstoßung handele, dass also die Abstoßung grenzwertig sei. Ich sagte ihr, alles, was den Namen Borderline enthält, sollte man meiden, das ist immer verdächtig. Da musste sie auch lachen. Wer will schon Borderline haben, meistens ist dies eine unangenehme Diagnose, auf jedem Fachgebiet. Normalerweise wird nach einem Jahr der Tacrolimus-Spiegel zwischen vier und sechs im Blut gehalten, bei mir sei er aber zu niedrig gewesen. Er schwankte bei mir meistens zwischen 4,8 und 6,0. Da ich jedoch eine Borderline-Abstoßung habe, muss auch nach einem Jahr bei mir der Spiegel zwischen fünf und sieben bleiben. Wie besprochen erhöhten wir lediglich das Advagraf auf 9 mg, und sie gab mir den Arztbrief in dreifacher Ausführung mit, einmal für den Hausarzt, einmal für mich und einmal für die Transplantationsambulanz. Warum er dann drei Tage später noch einmal mit der Post kam, verstehe ich nicht ganz. So durfte ich nach Hause fahren und war froh, alles überstanden zu haben, wenn auch eine leichte Abstoßung vorliegt, die aber zumindest so geringfügig ist, dass keine weiteren Maßnahmen erforderlich waren. Das Kreatinin war auch an diesem Tag wieder bei 1,1, diese beiden Werte waren so niedrig wie schon lange nicht mehr. Als ich nämlich kam, hatte die Transplantationsambulanz vergessen, die Blutwerte an das Transplantationszentrum zu schicken, und diese kamen dann per Fax. Da war das Kreatinin noch bei 1,19. Das höchste war einmal 1,44, schon damals hatten wir überlegt, ob wir die Jahrespunktion vorziehen, das Kreatinin hatte sich dann damals aber wieder auf 1,17 verringert. Ich kann nur hoffen, dass die Dosis von 9 mg Advagraf ausreicht, und ich nicht wieder auf 11 mg gehen muss, da dies ziemlich unangenehme Nebenwirkungen hat, wie zum Beispiel Schlappheit oder Würgereiz. Außerdem bleibt zu hoffen, dass Das Kreatinin unter der stärkeren Immunsuppression jetzt wieder besser wird und bleibt, und dass die Niere nicht weiter angegriffen wird von T-Lymphozyten oder anderen Blutzellen. Ich hoffe auch sehr, dass meine Fitness, die ich jetzt endlich wieder etwas erlangt habe, nicht durch die Erhöhung des Medikamentes wieder nachlässt. Als ich nach Hause kam, war ich total erschöpft. Keiner kann sich vorstellen, wie ermüdend vier und 20 Stunden Bettruhe sind. Ich dachte eigentlich, dass ich danach energiegeladen sein würde. Das Gegenteil war der Fall, ich sehnte mich nur noch nach meinem eigenen Bett. Wenn ich einmal so müde bin, muss ich tatsächlich ausruhen, egal, ob es Tag ist oder Nacht. Das kann man nicht überwinden oder überspielen, dann ist wirklich Bettruhe angesagt. In solchen Momenten denke ich immer, das bleibt jetzt so, aber am nächsten Tag ist dann alles wieder wie weg geblasen. Solche Erschöpfungszustände habe ich manchmal, wenn nämlich viel los war, ich mich überanstrengt oder übernommen hatte, oder wenn ich aus dem Krankenhaus wiederkam. Zum Glück dauerte dieses Gefühl diesmal nur einen Tag, und am nächsten Tag konnte ich schon wieder Unterricht bei den Rumänen geben und tatsächlich auch an unserem nachgeholten Weihnachtsessen unserer Redaktion teilnehmen. Ich kann nur hoffen, dass so schnell eine Punktion nicht mehr erforderlich sein wird, und dass das Kreatinin dauerhaft so niedrig bleibt. Die Punktion an sich war eigentlich überhaupt nicht schlimm, das Schlimmste war tatsächlich die Bettruhe und vor allem die 4 Stunden in Rückenlage. Aber das mag auch jeder anders empfinden, vielleicht würde ich das nächste Mal in einem wesentlich bequemeren Bett liegen, aber ich hoffe, so schnell gibt es kein nächstes Mal. Auch sagte ich der punktierenden Ärztin , als sie sich verabschiedete, ich hoffe, dass wir uns so schnell nicht wieder sehen. Sie war danach etwas wortkarg, ich fürchte, den Scherz hat sie nicht ganz verstanden. Aber ich glaube, die Ärzte wissen schon, wie das gemeint ist.

Was hab' ich, und wenn ja, wieviele?

Nun sind also meine ganzen gesammelten , gestammelten oder noch besser gesagt gestapelten Diagnosen vorhanden. Auch meine Augenärztin hat jetzt vor einiger Zeit das Charles Bonnet Syndrom bestätigt. Sie schreibt, dass aufgrund meines sehr schlechten Sehens zu wenig Input auf den Afferentenbahnen zum Gehirn bestünde, weshalb die Seezellen auf der Sehbahn nicht mehr gehemmt würden, sozusagen eine Desinhibition, also Enthemmung, oder noch komplizierter gesagt eine Hemmung der normalerweise bestehenden Hemmung vorliegen würde, wodurch die Zellen unmotiviert feuern. Dadurch entstehen dann eben diese Farbschleier oder Flimerskotome. Als ich mit meinem Nierenarzt darüber sprach, meinte er, darüber haben wir bereits diskutiert, mehr war da aus ihm nicht mehr heraus zu holen, ich hatte gehofft, dass er vielleicht näher auf den Zusammenhang des Augenflimmerns und meiner Grunderkrankung, der Medikamenteneinnahme und meiner verschiedenen Stoffwechsellagen eingehen würde. Nein, all das, was ich hätte, könnte kein Augenflimmern machen. Dabei ist zum einen jeder Mensch anders, und zum anderen erst recht jemand, der eine seltene Erkrankung hat. Da kann ja alles mögliche einfach mal vorkommen. Auch habe ich die Milchprodukte wieder weggelassen, da ich das Augenflimmern verstärkt hatte, als ich wieder mehr mit Käse und Joghurt zu tun hatte, da ich diese Produkte heiß und innig liebe. Während ich calciumarm essen musste, habe ich auf all diese Dinge verzichtet, hatte aber auch weniger starke Sehstörungen, und ich hatte auch weniger Probleme mit der Haut. Als ich dann wieder zuschlug, denn nun durfte ich ja wieder, musste sogar, da aufgrund der Entfernung von 7/8 der Nebenschilddrüsen ja nun wenig Kalzium vorhanden war, ging es wieder verstärkt mit Neurodermitis und Augenflimmern los. Daher habe ich mir jetzt erst mal bis Ostern , sozusagen in der Fastenzeit, auferlegt, Käse und Joghurt wegzulassen, um zu testen, ob sich dadurch etwas bessern könnte. Die Neurodermitis ist so schlimm wie zuvor, das Augenflimmern hat sich gebessert, aber die Farbschleier sind immer noch da. Aber ich kann zumindest, wenn auch in Rosa und Grün oder inBlau oder Gelb meine Umgebung flimmerfrei wahrnehmen. Wenn ich die Ärzte frage, ob das mit dem Verzehr von Milchprodukten zu tun haben könnte, gibt es hier angeblich keinen Zusammenhang. Es wäre jetzt ziemlich irrational, weiter zu leiden, bis man eine offizielle Bestätigung der Ärzte erhält, wenn man selbst merkt, dass es einem ohne diese Produkte besser geht. Daher pfeife ich jetzt einmal auf die Bestätigung der Ärzte und probiere es weiter aus. Nach Ostern werde ich mal wieder diese Produkte einführen und sehen, ob sich etwas verschlechtert. Wenn sich nichts ändert, kann ich genauso gut auch weiter diese Produkte essen. Vielleicht lag es auch nur daran, dass ich im Dezember, als das verstärkt auftrat, gerade mal wieder frisch operiert war, und dadurch die Symptome wieder einsetzten. Das kann man aber nur durch Ausprobieren herausfinden. Wir Menschen sind halt keine Maschinen, auch wenn die Ärzte hier keinen Zusammenhang sehen, und es keine erklärbare Ursache gibt, gibt es doch Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir uns einfach nicht erklären können, und die man halt einfach so hinnehmen muss. Nun aber zu meinen nicht-sichtbaren Diagnosen, die ich jetzt weiterhin hier so offen präsentiere, obwohl ich im Alltag nicht überall damit Hausieren gehen würde. Ich hatte ja in einem meiner Blogeinträge folgende Hoffnung geäußert: "Es wäre für mich eine riesengroße Erlösung, wenn endlich einmal all diese Zusammenhänge erkannt werden würden, so das ich aus der Psychoecke endlich befreit würde. Aber davon kann ich leider nur träumen, einmal gestellte Diagnosen werden nicht so einfach fallen gelassen, es gibt niemanden, der sagt, wir wissen jetzt, dass all diese früheren Etikettierungen Fehldiagnosen waren, wir sind heute weiter, damals wusste man das halt einfach noch nicht, das tut uns leid, heute sind wir eben weiter, jetzt können wir die richtige Diagnose stellen und ihrer Problematik angemessen gerecht werden." Auch hatte ich versucht, bei der Stiftung Anerkennung Hilfe zumindest eine ideelle Anerkennung meiner gemachten Erfahrungen zu erhalten. Geld wollte ich keines, aber wenn sie etwas rausgerückt hätten, um mir eine Psychotherapie zu bezahlen, hätte ich nicht nein gesagt. Leider war ich auf der falschen Schule, nicht nur damals, sondern auch rückblickend, um eine Anerkennung zu kriegen. Denn dies gilt nur für Einrichtungen der Behindertenhilfe. Außerdem geht der Zeitraum der Förderung nur bis 1975. Ich wollte aber nur erreichen, dass zumindest einmal von kompetenter Seite anerkannt wird, dass ich durch eine falsche Schulform einfach ein Trauma erlebt habe. Dies würde in dieselbe Richtung gehen, wie ich es hier in diesem Zitat schildere, man würde mir sagen, man hat es damals einfach nicht richtig gemacht, man wusste es nicht besser, man würde das heute nicht mehr so machen. In meinen anderen Blogeinträgen habe ich ja genügend darüber geschrieben, dass ich lieber in ein Gymnasium für blinde und Sehbehinderte gegangen wäre, wo ich vielleicht nicht gemobbt worden wäre, zumindest nicht aufgrund meiner Blindheit. Wie in dem Eintrag, aus dem dieses Zitat stammt, bereits beschrieben, habe ich ja noch einmal die Diagnostik bezüglich Autismus durchführen lassen, um die auf tönernen Füßen stehende Diagnose noch zu festigen. Dabei hat ja auch die Psychologin bemerkt, weil ich so impulsiv und lebhaft war, dass öfter mal der Trinkbecher vom Tisch viel, wenn ich mit meinen Gesten etwas unterstrich, dass ich vermutlich auch ADHS haben könnte. Ich neige auch häufig dazu, Leuten ins Wort zu fallen, wofür ich heute wieder böse gerügt wurde. Das steht aber jetzt auf einem anderen Blatt, weiter mit den Ergebnissen. Tatsächlich hat sie eine ADHS diagnostiziert, und der atypische Autismus wurde bestätigt. Leider kam kein ganzer Autismus dabei heraus, nicht etwa, weil ich unbedingt gerne einen hätte, eine Diagnose heißt ja nicht, dass man die Krankheit will, sondern die Erkenntnis darüber, dass man sie hat. Diagnose bedeutet ja Anerkennung sozusagen von einem zum anderen, also, dass der Arzt beim Patienten erkennt, was er hat. Erst heute war ich zum ersten Mal bei einem Autismus Stammtisch, wo ich gleich zwei atypische Autisten kennen lernte, die meinten, atypischer Autismus bedeutet lediglich, dass sie einem weder nachweisen können, dass man es hat, noch, dass man es nicht hat, es sagt also gar nichts. Nun bin ich so schlau als wie zuvor. Das Trauma hat sie auch weiterhin aufrecht erhalten, wobei aber von der strukturellen Dissoziation nichts mehr dort steht. Dies bedeutet, dass bei mir Gefühle und Ereignisse getrennt sind, so das ich beim erzählen wenig Zugang zu meinen Gefühlen habe. Dies ist ein Schutzmechanismus, wenn man so häufig beim Zeigen seiner Gefühle negativ sanktioniert wurde, lässt man es halt irgendwann schlauerweise bleiben. Das hat dann eben den Nachteil, dass andere den Ernst der Lage gar nicht anerkennen. Wobei wir heute, als wir beim Stammtisch saßen, uns alle darüber wunderten, warum allein die Erzählung nicht genügt, die doch verbal aus sagt, dass etwas Schlimmes passiert ist, und warum man dann erst seine Gefühle auch noch mitliefern muss, damit die anderen realisieren, dass eine Sache schlimm ist. Zum Beispiel erzählte ich einmal meiner Helferin, dass mein Kater überfahren worden sei, woraufhin sie mit einem lapidaren o. k. reagierte. Als ich mich beschwerte, wo bleibt denn ihr Mitgefühl, meinte sie, ich hätte das so sachlich erzählt, daher könnte sie nicht mitfühlen. Dies wundert mich stark, denn alleine schon die Erzählung beinhaltet ja, dass die Sache traurig ist. Für mich ist dies implizit. Wenn mir jemand etwas erzählt, dann weiß ich vom Verstand her, dass es traurig ist, und ich stelle mir dann vor, wie das für mich wäre und zeige dann schon auch die passenden Reaktionen dazu. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemandem gleichgültig ist, wenn seine Katze stirbt. Warum sollte man dann also, wenn jemand nicht die passenden Emotionen mitliefert, der Ansicht sein, es würde demjenigen gar nichts ausmachen? Dass man seine eigenen Emotionen nach den Emotionen des Gegenübers richtet, und sich nicht am Inhalt orientiert, ist sehr Neurotypisch. Das ist eben der Unterschied zwischen Autisten und Neurotypischen Menschen. Die verbale Information reicht. Daher meinte auch damals der Diagnostiker, der bei mir das Trauma anerkannt hat, dass es wahrscheinlich auch mit dem Autismus zusammenhängt, dass ich Schwierigkeiten habe, meinen Gefühlen den passenden Ausdruck zu geben zu dem, was ich sage. Allerdings haben wir beim Stammtisch festgestellt, dass die Männer hier anderer Meinung waren, es sei ja schließlich nicht ihre Katze, die gestorben sei, daher würden sie auch bei niemandem mitfühlen, der ihnen diese Mitteilung macht. Die einzigen beiden Frauen waren hier anderer Meinung, es ist schließlich allgemein klar, dass es traurig ist, wenn eine Katze stirbt. Die Psychologin hatte mit mir einen separaten Termin ausgemacht, um mir die Befunde vorzulesen, wobei sie auch noch einmal den gesamten Bericht mit all meinen Zitaten vorlas. Eigentlich bestand der Bericht größtenteils aus meinen eigenen Zitaten, die sie als Beispiele aneinandergereiht hatte. Sie schrieb zum Beispiel: „obwohl ich alle Wochenenden nach Hause durfte, hatte ich schreckliches Heimweh.“ Ich hatte ihr zuvor erklärt, dass mein Bruder, der weiter weg im Internat war, nur während der Ferienheim durfte, ich durfte zwar jedes Wochenende nach Hause, was etwas mehr war, als mein Bruder hatte, dies sei aber trotzdem schon schlimm genuggewesen, daher hätte ich eben auch Heimweh gehabt. Dann schrieb sie zum Beispiel: "Meine Ungeduld übertrug sich auf die Rehabilitanden, so das im Klassenzimmer Unruhe entstand, und die Schüler mir nichts glaubten.“ Oder so ähnlich, es kommt nur auf den ersten Teil des Satzes an. Ich hatte ihr zuvor erklärt, dass ich anfänglich teilweise innerlich ungeduldig war, aber sobald ich merkte, dass ich meine Ungeduld äußerlich zeigte, und diese sich auf die Rehabilitanden übertrug, habe ich mich beherrscht, meine Gefühle für mich zu behalten und die professionelle Rolle der Lehrerin nach außen an den Tag zu legen. Diesen Fehler machte ich nur zu Anfang, dass ich Zeichen von Ungeduld merken ließ. Die Gruppen waren aber insgesamt ziemlich unruhig und glaubten mir fachlich immer ziemlich wenig. Man muss ja aufpassen wie bei Journalisten, jetzt verstehe ich, was Interviewpartner meinen, wenn sie mit einer Aussage konfrontiert werden und dann beteuern, das Ganze sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Außerdem stand noch da: „aufgrund meiner komischen Art wurde ich auch im Internat gehänselt.“ So habe ich dies nie gesagt. Ich bestand darauf, dass sie noch dazu schreibt, dass auch andere Sehbehinderte vor mir aus diesem Internat herausgemobbt wurden. Auch das mit dem Übertragen der Ungeduld ließ sie dann weg. Bezüglich der ADHS schrieb sie, dass ich eine erhöhte Reagibilität hätte, mich also bei Ungerechtigkeiten oder nach einem Streit wesentlich mehr aufregen würde als andere. Dabei erwähnte sie, dass ich mich darüber beklagt hätte, prinzipiell die Verliererin zu sein. Da sagte ich ihr, jeder, der immer der Verlierer ist, würde sich irgendwann aufregen. Sie meinte: "Sie haben aber ADHS, wer weiß, vielleicht hätten Sie sich auch schon beim ersten Mal aufgeregt, selbst wenn es Ihnen nicht so häufig passiert wäre. Die Tatsache, dass es Ihnen oft passiert, macht es halt nur noch schlimmer." Wir konnten das dann aber irgendwie klären, dass dies nichts mit über Sensibilität zu tun hat. Man beschäftigt sich nur einfach länger mit Ungerechtigkeiten oder Streitereien, die einem einfach länger nachgehen als Menschen ohne ADHS. Außerdem schrieb sie dann noch hinein: "Die Patientin imponiert fordernd, sie besteht darauf, dass ihre Diagnosen endlich zusammengeführt werden, und sie wünscht sich, dass ihre Leiden anerkannt werden." Dies fand ich etwas schade, denn wir hatten darüber gesprochen, dass ich ziemlich große Mühe hatte, dass meine Diagnosen anerkannt wurden, und dass ich zu ziemlich vielen Anlaufstellen gehen musste, ehe sie gestellt wurden, und sie meinte, das käme bei den Ärzten zwar so rüber, als ginge man mit seinen Diagnosen Hausieren, da ich dann die gesammelten Befunde immer wieder zum nächsten Arzt mitnahm, aber sie räumte ein, mir sei ja schließlich nichts anderes übrig geblieben. So dachte ich, dass sie Verständnis für meine Situation hat. Ich sagte außerdem, dass die Erlebnisse im Internat noch nicht wirklich anerkannt wurden. Daraufhin meinte sie, ich hätte doch jetzt immerhin die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ich sagte ihr, dass ich dafür aber extra hätte bezahlen müssen, damit mich jemand so gründlich untersucht, dass er das rausfindet, und außerdem hätte ich ja die Diagnostik selbst initiiert, von selbst ist ja niemand drauf gekommen, und das ist ein Unterschied, ob man die Ärzte erst mit der Nase drauf stoßen muss, oder ob einen jemand von sich aus zu dem entsprechenden Diagnostiker hinschickt, dann zählt hinterher das Ergebnis auch mehr, als wenn man hinterher ein selbst in Auftrag gegebenes Gutachten den Ärzten vorlegt. Da meinte sie, dass ich die Diagnostik selbst veranlasst habe, stünde ja schließlich nicht drinnen, das wisse ja keiner. Dennoch hat sie dann, als ich den Brief in Händen hielt, hineingeschrieben: "Patientin hat all ihre Diagnosen selbst erwirkt.“ Was das sollte, weiß ich nicht, warum musste dies unbedingt erwähnt werden? Zwischen den Zeilen heißt dies, dass ich darauf gedrungen habe, und dass kein anderer auf die Idee gekommen war, bei mir an ein Trauma oder an Autismus oder ADHS zu denken. Bei dem Entwurf, den sie mir vorlas, stand noch, dass ich häufiger Missverständnisse hätte, diese aber per E-Mail klären KONNTE. Wir klärten dann noch das Missverständnis wegen der Hyperreagibilität bei ADHSlern. Danach kam eben irgendwann der Befund. Ich hatte sie gebeten, ob sie den Befund vielleicht auch an unser Klinikum schicken könnte, denn dort wäre er dann im Zentralcomputer gespeichert, und alle Abteilungen könnten auf diesen Befund zurückgreifen. Ich hatte aber damals im Klinikum ja die Diagnose ADHS nicht erhalten, sodass dies wie ein Triumph wirken könnte, seht mal, nun hab ich sie doch noch gekriegt. Daher musste man schon abwägen, ob man diesen Schritt geht. Ich gab ihr die Adresse der damaligen Diagnostikerin. Als dann mein Befund kam, las ich: "Es kommen häufig Missverständnisse auf, welche die Patientin per E-Mail zu klären VERSUCHT. Das mit dem bloßen Versuch einer Klärung per Mail stand beim Entwurf, den sie mir vorgelesen hatte, noch nicht so dort. Zusätzlich stand dann in der Endfassung auf einmal auch noch da, es sei auffällig, dass "die Patientin ihre Diagnosen mehrfach absichert und dann ihre vorherigen Anlaufstellen über die aktuellen Ergebnisse informiert." Dies kommt tatsächlich etwas schräg rüber. Das hört sich an, als hätte ich eine querulatorische Natur. Ich fragte sie schonwährend der Diagnostik, ob ich ihr vorkäme wie michael Kohlhaas, was sie aber jedes Mal freundlich verneinte, wenn ich bei ihr war. Daher war ich schon etwas enttäuscht, dies dann in meinem Befund zu lesen. Das schärfste aber war, dass sie die Diagnose "Anpassungsstörung", die ich einmal im Südklinikum offenbar von den Nephrologen während meines Aufenthaltes aufgrund einer Blutdruckkrise erhalten hatte, wieder übernahm. Wir hatten einmal über das Thema Anpassungsstörungen gesprochen. Dies bedeutet nicht, dass man nicht in der Lage ist, sich an die Gesellschaft anzupassen, sondern es bedeutet, dass man Mühe hat, sich an eine gravierende Veränderung und einen großen Einschnitt im Leben anzupassen, wie an eine schwere Krankheit oder Behinderung, frühe Trennung von zu Hause , Internat, Tod eines Angehörigen, oder Frühberentung. Ich habe einmal gelesen, Anpassungsstörungen seien die Vorstufe eines Traumas, wohingegen die Psychologin sagte, es sei die Vorstufe einer Depression. Später hörte ich dann, man schreibt immer Anpassungsstörungen, wenn einem nichts besseres einfällt, man aber unbedingt eine Diagnose braucht. Ich hatte aber nun genügend andere Diagnosen zu bieten, als dass man dieses leicht abwertende Allerweltsetikett hätte stehen lassen müssen. All die Beispiele, die ich für eine Anpassungsstörung hier aufgezählt habe, stammen aus meinem Leben. Ich hatte also eine ganze Menge, an was ich mich anzupassen hatte. Was mich aber absolut ärgerte war, dass sie mir folgende Diagnose verlieh: „Schwierigkeiten mit den Problemen der Lebensbewältigung“. Davon abgesehen, dass diese Formulierung tautologisch ist und nichts anderes aussagt, als dass man ein Problem damit hat, ein Problem zu haben, fühle ich mich in meiner Ehre gekränkt. Wer hätte mit dem Päckchen, welches ich zu stemmen habe, keine Probleme bei der Bewältigung? Konstruktiver wäre es gewesen zu schreiben, Patientin sucht noch nach einer Lösung, ihr Leben zu bewältigen. Sie hätte aber auch schreiben können: Patientin hat gemessen an den Herausforderungen, die sie zu meistern hat, noch keine Strategie zur Bewältigung gefunden. Wahrscheinlich bedeutet diese Diagnose, dass man mit Lebensproblemen ineffizient umgeht, oder dass man immer wieder dieselben Fehler macht, und bestimmte Lebensprobleme einen immer wieder begleiten. Dennoch finde ich diese Diagnose extrem unbefriedigend, da sie sozusagen eine Art Lebensunfähigkeitsbescheinigung ist. Anstatt zu honorieren und zu würdigen, dass ich in Anbetracht dessen, was ich alles schon erlebt habe, überhaupt noch da bin, hört sich das eher so an, als sei mein Leben relativ normal, ich hätte einfach nur nicht die passenden Strategien gefunden, damit klarzukommen. Ich finde, von Schwierigkeiten der Probleme der Lebensbewältigung kann man erst dann sprechen, wenn jemand ein relativ durchschnittliches Leben hat, aber Schwierigkeiten damit hat, morgens aufzustehen, sich bestimmte Dinge zutrauen, einkaufen zu gehen, sich für oder gegen eine Operation zu entscheiden, immer wieder an dieselben Partner zu geraten und wieder reinzufallen, dauernd eine Ausbildung abzubrechen oder nichts zu Ende zu bringen. Wenn man also mit den ganz normalen und alltäglichen Herausforderungen, die das Leben halt so mit sich bringt, nicht fertig wird, dann kann man tatsächlich von Problemen mit der Lebensbewältigung sprechen. Normalerweise wird schon jemandem, der erblindet, zugestanden, dass dies eine große Aufgabe ist, die man zu bewältigen hat. Hier wird schon eingeräumt, dass die Bewältigung eine langwierige Aufgabe ist. Umso mehr, wenn man auch noch mehrfach behindert ist. Alleine schon die Tatsache, dass ich in Rente gehen musste, obwohl ich mein Diplom mit 1,3 abgeschlossen habe und schon mit 38 Jahren wegen einer dazu gekommenen Dialysepflichtigkeit nicht mehr arbeiten konnte, ist eigentlich genug, um wirklich Trauerarbeit leisten zu müssen. Sie fragte mich während der Tests, ob ich denn mit der Tatsache Anführungszeichen durch Anführungszeichen sei, dass ich in Frührente gehen musste. Davon abgesehen, dass man mit so etwas nie Anführungszeichen durch Anführungszeichen ist, fand ich diese Frage bemerkenswert, zumal sie zumindest einräumt, dass man hier etwas hat, mit dem man fertig werden muss, zum anderen aber hatte ich ja nie die Gelegenheit, diese Trauerarbeit überhaupt zu beginnen. Schließlich hat man mir ja als behinderter Frau gar nicht zugestanden, dass ich einen solchen Lebensentwurf überhaupt haben darf, somit war es auch unlogisch, dass ich über dessen Verlust überhaupt zu trauern hätte. Als Behinderte hat man froh zu sein, wenn man nicht in der Werkstatt landet, wurde mir gesagt. Jemand anderes sagte mir, "dass Sie sich damit wesentlich zu viel vorgenommen haben, wissen wir ja alle." Es gab wenige Menschen, die mir sagten, "Sie hatten die berechtigte Hoffnung, nach Ihrem Studium auch eine Arbeit zu finden, daher ist das selbstverständlich traurig. Das musste sie dann natürlich auch einräumen. Meine Arbeitslosigkeit vor meiner Frühberentung war angeblich ja auch nicht so sonderlich tragisch, sie sei ja nur deshalb für mich so schlimm gewesen, da ich aufgrund meines Studiums so einen hohen Anspruch gehabt hätte. Dabei wäre es egal gewesen, ob ich studiert habe oder nicht, jeder ist traurig, wenn er über Jahre hinweg keine Arbeit findet. Als behinderter muss man auch noch Schuldgefühle haben, dass man zu viel gewollt hat, und dass man enttäuscht ist, wenn man seine Lebensziele nicht erreicht hat. Schließlich hatte ich mich immer bewusst gegen Familie, Mann und Kinder entschieden, wobei die geistige Arbeit mein einziges Standbein war. Überhaupt das Recht, sich gegen Kinder zu entscheiden, impliziert ja, dass man auch das Recht gehabt hätte, Kinder zu kriegen. Dies wurde bei mir immer belächelt, es war schließlich, ohne es sagen zu müssen, selbstverständlich, dass so jemand wie ich keine Kinder kriegt. Irgendwie hat sich auch nach dieser Diagnostik das Gefühl und das vorher bestehende Paradigma nicht wirklich geändert. Wenn man gemobbt wird, hat man laut ADHS-Kriterien Anführungszeichen Probleme mit anderen“. Einer Frau, die vergewaltigt oder sexuell missbraucht wurde, würde niemand sagen, sie habe Probleme mit Männern. Die hat sie dann hinterher, das ist verständlich. Aber das Paradigma hier ist, dass sie das Opfer ist, und dass ihr etwas angetan wurde. In meinem Falle ist es umgekehrt, durch mein Fehlverhalten, sei es nun angeboren, beabsichtigt oder behinderungsbedingt, habe ich das Mobbing ja erst ausgelöst. Bei dem Gespräch sagte ich zu der Psychologin, Mobbing ist ein systemisches Problem, daher wird, wenn die Führung nicht stimmt, immer ein Opfer ausgesucht, welches gemobbt wird. Ist dieses Opfer weg, sucht man sich ein anderes. O-Ton der Psychologin: "Ja, aber manche Menschen werden eben noch "gerner" gemobbt." Auch mein Wunsch wie oben formuliert, dass in der Retrospektive vielleicht mit dem Wissen, dass ich heute habe, und dem Wissen, dass die Medizin heute hat, einige Ansichten revidiert würden, hat sich nicht erfüllt. Ein entlastendes Gefühl, dass ich heute vielleicht besser verstanden würde, und dass meine Verhaltensweisen, die ich damals an den Tag gelegt habe, unter Berücksichtigung heutiger Erkenntnisse verständlicher sind, ist nicht wirklich eingetreten. Mein Wunsch, dass diese Odyssee endlich ein Ende haben möge, alle Diagnosen hier zusammenlaufen, und sich dann ein Gesamtbild, sozusagen eine Synopsis , also ein Bild eines Menschen in seiner Situation ergibt, wodurch ich besser verstanden würde, ist auch nicht wirklich eingetreten. Ich hatte den Wunsch, dass vielleicht einige meiner Symptome oder Verhaltensweisen sich nun besser erklären lassen, da man heute auch weiß, wie Traumatisierungen funktionieren, und dass ich ja auch einige neurologische Bedingungen auf die Welt mitgebracht hatte, die mein Leben zusätzlich wesentlich erschwert haben, und die obendrein auch noch so lange unerkannt und ungefördert blieben, wodurch meine Situation auch nicht gerade leichter wurde. Meine angeblich fordernde Haltung, die aus dem Druck heraus entsteht, dass ich endlich so gesehen werden möchte, wie es mir gerecht wird, hat sich im Lichte all diese Erkenntnisse auch nicht liebevoller einordnen lassen. Genau das wäre eigentlich der Begriff gewesen, eine liebevollere und verstehende Betrachtung meiner Person und meines Umganges mit den Dingen, dem Leben und meiner Umwelt. Das hätte ich mir gewünscht, oder vielleicht sogar eine Revision, so dass man mir vielleicht im Laufe dieser ganzen Exploration gesagt hätte, so, wie das damals gelaufen ist, würde man das heute nicht mehr machen, und Ihre Reaktionen und Emotionen diesbezüglich sind unter diesem Gesichtspunkt auch nachvollziehbar. Allein dies hätte mich entlastet. Verbal kann man das nicht beschreiben, tatsächlich ist dies einfach ein Zustand, ein Gefühl im Bauch , tatsächlich ist der Blickwinkel ein anderer, es wäre in der Tat ein echter Paradigmenwechsel gewesen von der Ansicht einer Person, die sich irgendwie anders verhält als erwartet und dadurch im Leben aneckt hin zu einer Betrachtung eines Menschen, der wahrscheinlich auch bestimmte Strategien entwickeln musste, um sowohl neurologische Defizite als auch traumatische Erfahrungen auf seine Art, meinetwegen auch disfunktional zu kompensieren. D.h., es war wahrscheinlich zweckmäßig, sich so zu verhalten, das hatte wahrscheinlich alles einen Sinn, es hat aber nicht das gewünschte Ergebnis gebracht, aber es sollte zumindest liebevoll verstanden werden, wodurch ja dann auch die Anerkennung entsteht, dass diese Person so geworden ist, wie sie ist, da sie unter bestimmten Bedingungen aufgewachsen ist und sich daher, wenn auch auf ungeeignete Weise , den Umständen angepasst hat, was man in der Fachsprache maladaptiv nennt. Selbst dies ist für mich noch schwer anzunehmen, aber immerhin eine wesentlich liebevollere und verständnisvollere Sichtweise, wobei ich mit liebevoll jetzt nicht wirklich liebe meine, sondern einfach Gerechtigkeit, Verständnis, Empathie und bedingungslose Annahme. Das bedeutet nicht, dass jemand immer so bleiben kann, aber wenn man mal den Sinn entschlüsselt hat oder die Gründe verstanden hat, und wenn ich sie auch mal auf entlastende Weise erklärt bekomme, oder sie zusammen mit jemand anderem herausfinden würde und durcharbeiten könnte, könnte man vielleicht, nachdem man bessere Möglichkeiten gefunden hat, die auch umsetzbar sind, bestimmte Dinge verändern, wenn dies auch relativ unrealistisch ist, da sich viele Sachen einfach so festgefahren haben. So eine genaue Arbeit kann man natürlich im Rahmen einer Diagnostik nicht erwarten, der Ansatz hierzu hätte aber bestehen sollen, und die Weichen hätten gestellt werden können. Denn alleine schon die Tatsache, dass ich nicht mehr so "im negativen Sinne pathologisierend" angeschaut worden wäre wie früher, sondern dass man unter den heutigen Erkenntnissen ganz anders auf so jemanden blickt, und somit auch indirekt alte Fehler eingeräumt werden, hätte dies eine große Entlastung bedeutet. Mit den oben genannten Zitaten ist dieser Effekt allerdings nicht eingetreten. Nun hab ich einen Autismus, sie sagte auch, ja, sie sind Autistin. Eine ADHS habe ich nun auch anerkannt bekommen, sie hat also nichts weggenommen, aber durch diese sogenannte Z-Diagnose mit der Art Lebensuntüchtigkeitsbescheinigung stehe ich jetzt auch ziemlich blöd da. Obwohl mir jemand sagte, dass es ja eigentlich normal ist, wenn man so viele Behinderungen und Erkrankungen hat, dass man dann eben logischerweise Probleme hat, sein Leben zu bewältigen. Aber genau deshalb bräuchte man ja dann hierfür auch keine extra Diagnose mehr, wenn das sowieso daraus hervorgeht. Eine Diagnose bedeutet ja schließlich, dass etwas ungewöhnlich ist. In manchen Situationen wäre es aber eher ungewöhnlich, wenn man da noch normal reagieren würde. Um es mal mit Karl Valentin zu sagen: „Da kann man ja nicht gesund sein, wenn man da nicht krank wird.“ Wenn man dann in so einer Situation, in der man eigentlich nur gesund ist, wenn man davon krank wird, als krank bezeichnet wird, dann ist das "DAVON", wovon man krank wurde, noch nicht ganz wirklich so richtig verstanden worden. Oder das "DAVON" ist halt tatsächlich doch nicht ganz so schlimm, und andere würden tatsächlich besser damit fertig und nicht ganz so "krank" werden. Aber das müsste erst einmal einer nachweisen.