Genervt hat mich nur, daß wir bei den jeweiligen Absagen eine Mail mit einem PDF-Anhang erhielten, wobei ohne Anrede der Absagebrief an alle Personen gleich verfaßt war. Man hätte sich zumindest die Mühe machen können, einen persönlichen Brief zu schreiben, wobei es ja schließlich eine Serienbrieffunktion gibt, wo man den Namen und die Anschrift an der richtigen Stelle einfügen kann. Aber das wäre wieder zuviel Arbeit gewesen.. Das hätten wir wenigstens wert sein müssen. Immerhin haben wir, die wir abgelehnt wurden, uns auch Mühe gegeben. So sieht es wirklich so aus, als seien wir nur so "unter ferner liefen" abgetan worden. Das hab ich auch moniert, denn es wäre doch netter gewesen und hätte wenigstens eine gewisse Wertschätzung für die bloße Teilnahme vermittelt: "Dabei sein ist alles!" Aber leider wurde sich diese Kritik nicht zu Herzen genommen.
Nun also der Beitrag, den ich als Reporterin über Ohrenblicke und meine Teilnahme daran verfaßt habe.
Viel Spaß.
Ohrenblick, Lichtblick
Alle waren schon da, viele Teilnehmer waren es nicht, die
zum ersten Treffen des Projektes „Radio Ohrenblicke“ gekommen sind. Was würde hier auf sie zukommen? Mit welchen Erwartungen waren die anderen hier
erschienen? Radio machen,
Schnittprogramme kennenlernen, Redaktionsarbeit erleben, das waren die Wünsche
der Teilnehmer. Franziska Steinbach (Name geändert) war froh, daß man
sie bei diesem Projekt angenommen hatte:
„Ich bin Dialysaepatientin und kann nicht immer kommen, ist das ein
Problem?“ Nein, es war kein
Problem. Wie oft hatte sie sich zuvor
bei einem Projekt beworben. Da gab es
ein Angebot eines Stipendiums, um das Schreiben zu erlernen. „Tut uns
Leid, versuchen Sie es ein andermal wieder.“ Da wurden Blinde gesucht, die sich Texte merken und sie vorsprechen sollten, um
dabei in die Kamera zu sehen. Und auch
hier machte ein Arztbesuch wieder einen Strich durch die Rechnung. Im Dunkelcafé und Dunkelgang konnte die frühberentete Diplomübersetzerin
für Englisch und Spanisch aus
gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten.
Nachhilfestunden gestalteten sich wegen der kleinen Schrift in Büchern
schwierig, und die Schüler blieben oft unmotiviert weg.
„Radio Ohrenblicke ist ein EU-gefördertes Projekt für
Blinde“, wurde der kleinen Gruppe von 6 Leuten erklärt. Es
wird von freien Radios durchgeführt. Momentan beteiligen sich Köln,
Nürnberg und Salzburg. Über zwei Jahre würde sich das Ohrenblicke-Team, welches
von Mira-Media aus den Niederlanden
wissenschaftlich begleitet werden sollte, in mehreren Redaktionssitzungen treffen, um
alle zwei Monate eine Sendung zu
produzieren. In der ersten
Redaktionssitzung geleitet vom Medienpädagogen Chris wurden schon einmal eine Menge Ideen für
kommende Sendungen gesammelt: Mobilität, Blinde und Literatur, Blinde und
Kunst, Reisen für Blinde, Hilfsmittel im Alltag, Computerarbeitsplätze. Doch zunächst sollte einmal das Studio
blindengerecht gestaltet werden. Hierzu
mußten die Teilnehmer das Mischpult,
welches sie auch selbst bedienen sollten, mit Punktschriftbändern
markieren. „Da muß ein Zahlenzeichen davor, sonst heißt es Ma und
nicht Mikrophon 1, da bin ich eisern“, meint einer der älteren Teilnehmer, als Franzi
als damalige Anfängerin der Punktschrift verwirrt über das Dymoband streicht. „So, jetzt kommt der PC dran, hier ist noch
der Aufkleber für den Telephonhybriden.“
Der Telephonhybrid, so wurde erklärt, dient dazu, Telefoninterviews über
das Mischpult zu führen und aufzuzeichnen.
Lustig ging es also her bei der ersten Sendung, in welcher die
Studiobeschriftungsaktion aufgenommen und später über den Äther ausgestrahlt wurde.
Das erste Telephoninterview ließ auch nicht lange auf sich
warten. Um sich die Zeit an der Dialyse
sinnvoll zu vertreiben, ist die 43-Jährige Abonnentin zahlreicher
DAISY-Zeitschriften. DAISY steht für „Digital accessible information system“
und erlaubt es, in einer Hör-CD zu den einzelnen Artikeln und Rubriken zu navigieren. So fand sich auch schnell ein
Interviewpartner, der Macher der Hör-TAZ, den sie vorab über die zu
beantwortenden Fragen informierte. Etwas
aufgeregt war sie schon, war es doch ihr erstes echtes Interview. Zunächst galt es, den Telephonhybriden
richtig einzustellen, was nach einigen Erklärungen dann auch endlich gelang. Das Interview ging sauber über die Bühne und
erschien in einer der ersten Ausgaben von Radio Ohrenblicke.
Die Sammlung von Hörmaterial findet nicht nur vor Ort statt,
sondern es werden auch kleinere Reisen unternommen, um interessante Themen ans Publikum
zu bringen. So startete die passionierte
Hörfilmnutzerin einen Aufruf in der
entsprechenden Mailingliste und bekam für das Radioteam prompt eine Zusage für
einen Besuch im Hörfilmstudio des Bayerischen Rundfunks, wo die Gruppe der
Entstehung eines Hörfilmes beiwohnen durfte.
Der Film war zuvor von einem Beschreiberteam, bestehend aus einem
Blinden und zwei Sehenden genaustens analysiert und die Handlungen erklärt
worden. Die Erklärungen müssen dann
genau an der auf dem Zeitband markierten Stelle von einem professionellen
Sprecher eingelesen werden. Ein
Toningenieur mischt dann den Ton ab, damit die Erklärungen auch an lauteren
Stellen noch gut verständlich sind, wobei ein blinder Redakteur jedes Geräusch genau nachhört und
gegebenenfalls die Verschiebung der Erklärung an eine andere Stelle
vorschlägt. So entsteht dann das fertige
Produkt eines Filmes mit Bildbeschreibung für Sehgeschädigte, Audiodeskription
genannt.
Früher konnte die
gebürtige Hanauerin noch etwas besser sehen, war aber schon immer dankbar für
Erklärungen an Filmstellen, bei denen wenig gesprochen wird, um der Handlung
folgen zu können. „Im Kino sind diese
Erklärungen von Freunden störend, oder die haben keine besondere Lust, dauernd
den Einflüsterer zu geben, da dies ja auch sehr anstrengend ist“, meint Franzi.
Außerdem gibt es
zahlreiche andere Alltagshilfen, die bei Radio Ohrenblicke einer sehenden
Hörerschaft nähergebracht wurden. Der
Besuch bei einem Hilfsmittelhändler stand an, wobei die sprechenden PCs, Handys
und Notizgeräte gutes Tonmaterial lieferten.
Auch Alltagsgegenstände wie sprechende Waagen, sprechende Uhren,
Fieberthermometer und Raumthermometer kamen „zu Wort“. Sie selbst schaffte sich mit zunehmender
Erblindung immer mehr dieser quasselnden Quälgeister an. Früher fand sie das immer komisch, daß andere
Sehbehinderte und Blinde so viele quäkende und plappernde Gegenstände in ihren
Zimmern hatten. Doch mit zunehmender Sehverschlechterung sah auch sie den
praktischen Nutzen dieser kleinen Helfer.
Die Augen hatten sich durch die Dialyse noch wesentlich mehr
verschlechtert, die seit Mai 2006 viermal pro Woche durchgeführt werden
muß. Die Nierenerkrankung ist eine
Begleiterscheinung ihrer Augenerkrankung, die schon seit Geburt besteht. Daher war der Besuch einer
Sehbehindertenschule nötig, wobei dann aber ein Wechsel in ein Regelgymnasium
ermöglicht wurde. Schoon früh entschied
sich Franzi, einmal Sprachen zu studieren und wählte daher die Universität in
Germersheim aus, um dort angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft mit
Ergänzungsfach Medizin für Übersetzer zu studieren. Doch der Arbeitsmarkt blieb iher
verschlossen, abgesehen von ein paar ABMs und einer zweijährigen Stelle als
Englischausbilderin am Berufsförderungswerk.
Auch einige Umschulungsversuche scheiterten an mangelnden körperlichen
Voraussetzungen, und als die Nieren endgültig versagten, entschied sich die
damals 37 Jahre junge Frau für die Rente, die ihr ohne weitere Umstände gewährt
wurde. Doch ohne eine Aufgabe zu leben,
um das hart erworbene Wissen irgendwo noch anzuwenden, würde der umtriebigen
jungen Frau schwer fallen. Im Tauschring,
einem Verein für gegenseitige Nachbarschaftshilfe, gab es ab und an einmal jemanden, der etwas
Spanisch oder Gitarre lernen wollte.
„Andere Versuche, sich irgendwo einzubringen, schlugen fehl, oder es
ergaben sich nur Kontakte zu wenig vielversprechenden Vorhaben, die von mehr
oder weniger realitätsnahen Personen eher „luftschloßartig geplant waren und zu
Enttäuschungen führten“, stellte die kritischeFrau fest, der es trotz ihres
Temperaments schwer fällt, tragfähige Kontakte zu knüpfen und darauf
aufzubauen. An Bemühungen fehlte es
nicht, so übersetzt Franzi noch ab und
an einmal kleinere medizinische Texte
für ihre Selbsthilfegruppe, und da sie seit
ihrem 16. Lebensjahr Esperanto spricht, gelegentlich Teile von
Infobroschüren für die örtliche Esperantogruppe. Weil sie nicht nur für Sprachen ein gutes Gehör besitzt, sang sie bis Ende 2011 auch in einem Chor. „Dort war es zu Anfang sehr schwer, mit den
anderen in Kontakt zu kommen, obwohl die auch alle blind sind“. Seit
Langem sucht sie schon jemanden, der mit ihr musiziert und hat schon
einige bislang erfolglose Annoncen in
Zeitungen und im Internet lanciert.
Und hier kommt nun wieder Radio Ohrenblicke ins Spiel. Das Team besteht aus Menschen ganz
unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Interessen. Somit bringen sich die Teammitglieder
auch mit ihren eigenen Fähigkeiten bei
den Sendungen ein. „Endlich hab ich
jemanden gefunden, der mit mir Musik macht“, freut sich Franzi. Ein Ohrenblicke-Teammitglied von knapp
20 Jahren, der in der Blindenwerkstatt
arbeitet und dort nur sehr eingeschränkten Ausgang hat, spielt hervorragend
Gitarre. Somit ergriff Franzi die
Initiative, nachdem sie zuvor nur noch die Möglichkeit gesehen hatte, jemanden
gegen Bezahlung dazu zu bringen, mit ihr Gitarre zu spielen, und sprach den jungen Ohrenblicke-Teilnehmer an,
ob er Lust hätte, mit ihr Musik zu machen.
Der begeisterungsfähige junge Mann war sofort dabei, und so fuhr Franzi mit
dem Taxi, das vom Bezirk zur Teilhabe
Schwerbehinderter am öffentlichen Leben bezahlt wird, zu Tommys (Name geändert)
Wohngruppe in die Behindertenwerkstatt.
Die beiden probten einige Male zusammen. Nun trauten sie sich, im Rahmen der Sendung über blinde
Musiker, ein paar Stücke im Studio aufzunehmen und auszustrahlen. Hierbei
machte Franzi die Durchsage, daß noch weitere Mitglieder zum Musizieren
herzlich willkommen sind. „Ob das Ganze
weitergeht, wird sich zeigen“, meint die mittlerweile vorsichtig gewordene
Frau, „aber es ist ein Anfang nach so langer vergeblicher Suche.“
Franzis Fazit: „Ohne
Radio Ohrenblicke hätte ich so gut wie gar keine Aufgabe. Hier werde ich auch
mal gebraucht und kann mich einbringen, und dies ist nicht zum Selbstzweck
sondern zur Information von Blinden für Blinde und Sehende.“ Die
Sendung gliedert also in doppeltem Sinne Blinde in die Gesellschaft ein: zum
einen beim Produzieren der Sendung selbst, und zum anderen durch den
Informationsgehalt, den die Hörer und
Hörerinnen aus der Sendung ziehen
können, dadurch viel über das Leben Blinder erfahren und vielleicht sogar
Unsicherheiten abbauen.
Radio Ohrenblicke ist
somit eine gelungene Maßnahme zur Eingliederung Behinderter, die vielleicht wie
Franzi sonst keine Chance hätten, ihre Fertigkeiten noch irgendwo
anzuwenden. Was auf jeden Fall bleibt
ist der Umgang mit Technik und Schnittprogrammen, viele Aufnahmen,
Interviewerfahrung und jede Menge positiver Erinnerungen, die sich dan auch
wieder bestärkend auf das Selbstbewußtsein
auswirken, und das braucht man als Behinderter umso mehr. „Mit mehr Selbstbewußtsein kommt man auch
wieder ein Stück weiter, als wenn man nur nutzlos daheim sitzt.“
Geschrieben von
Steinböckle
Blinde Übersetzerin, Dialysepatientin und Bloggerin