Samstag, 30. April 2011

Kennste einen, kennste alle

Meine Achtung vor den Menschen ist nicht sonderlich groß. Ich bin zuweilen sogar misanthropisch eingestellt. Mit Tieren hat man nie Scherereien, weil sie immer unmittelbar und ehrlich sind. Sie flippen zwar aus, wie mein Kater, aber sie meinen es dann auch so, sie sagen nie hinterher: Das hab ich doch ganz anders gemeint, das hast Du nur falsch verstanden. Tiere sind nicht so doppelbödig wie Menschen.
Das Muster geht immer genau nach demselben Schema.
1. Jemand sagt etwas oder macht einen Fehler.
2. Ich ärgere mich darüber.
3. Der andere will dann was ganz anderes gemeint haben.
4. Ich zeige und beweise ihm, daß ich sehr wohl richtig verstanden habe, was der andere meint.
5. Der andere sagt, er habe doch längst verstanden, was ich meine und sichdoch schon längst entschuldigt. Oder es kommt eine Entschuldigung nach dem Motto: „Falls das falsch bei DIR angekommen ist, tut es mir Leid.“ Da erwidere ich dann immer: „Da muß ja dann ICH MICH entschuldigen, daß es bei MIR falsch ankam.“
Oder:
1. Jemand sagt etwas oder verspricht etwas.
2. Dann macht er genau das Gegenteil davon.
3. Ich erinnere ihn an sein Versprechen
4. Er sagt, er habe es doch genau so gemacht, ich hätte es nur nicht bemerkt.
Oder:
1. Ich erkläre jemandem etwas.
2. Der andere zweifelt laufend und sagt, das könne nicht sein, das sei doch ganz anders.
3. Ich erkläre es nochmal, lege Beweise vor, belege meine Erfahrungen.
4. Der Andere sagt immer noch, das sei nicht so.
5. Ich sage: „Glaub mir halt.“
6. Der andere sagt: „Ich glaub‘ Dir doch!“ Komisch, warum hab ich das dann nicht gemerkt? Ich hätte lieber jemanden, der sagt: „JA, ich hab Dir grad nicht geglaubt, das stimmt, tut mir Leid, aber jetzt glaub ich Dir.“ Aber stattdessen wird das Nicht-Glauben wieder vertuscht und mir suggeriert, ich hätte bloß nicht gemerkt, daß mir die ganze Zeit schon geglaubt wird. Also wird mir damit auch noch suggeriert, daß ich einen Knick in der Wahrnehmung habe oder des Deutschen nicht mächtig sei.
Beispiele, die mich in letzter Zeit SEHR geärgert haben:
Als ich das Erstgespräch mit dem Leiter des Ambulanten Dienstes hatte, bei dem ich meine Helferinnen bekommen sollte, fragte ich ihn: „Was passiert, wenn ich eine Helferin aus einer niedereren Preisklasse will, Sie aber in dem Moment nur eine Helferin mit höherer Qualifikation haben, die mehr kosten würde?“ Er meinte: „Dann hab ICH ein Problem.“ Das interpretierte ich so, daß es nicht mein Schaden sein sollte, wenn dieser Fall eintritt, ich also dann das zahlen würde, was die von mir gewünschte Kraft kostet.
Dann trat tatsächlich der Fall der Fälle ein. Meine Helferin wurde krank, und da ich unbedingt jemanden brauchte, schickte er mir eine Sozialpädagogin. Für das, was ich brauchte, wäre aber keine Sozialpädagogin notwendig gewesen. Ich fragte ihn, ob ich dann das zahlen müßte, was die Sozialpädagogin kostet, oder ob ich das zahlen muß, was meine ursprüngliche Helferin kostet. Er meinte kleinlaut: „Ja, das geht aber nach Profession, aber es ist ja nur eine Stunde.“ Ich erinnerte ihn daran, was er im Erstgespräch zu mir gesagt hatte. Statt aber zu sagen: „OK, da haben Sie recht, Danke, daß Sie mich dran erinnern“, knurrte er nur: „NA GUT, MIR is des WURSCHT!“ Ich ärgerte mich schon, weil er mir das so hinwarf, als wäre das eine gnädige Kulanz von ihm, die er diesmal ausnahmsweise walten ließe. Geschenkt will ich nämlich nichts, was sowieso mein ist. Somit schrieb ich ihm nochmals eine Mail und äußerte auch meinen Verdacht, daß man es bei den Leuten halt probiert, und daß jemand, der sich weniger gut wehren könne oder sich nicht traut, das dann hingenommen hätte, und daß das nichtin Ordnung sei. Nur, weil ich den Mut hatte, auf unsere Abmachung hinzuweisen, hätte sich dann der Preis geändert. Er schrieb zurück: „Bei uns geht es nach Profession, denn wenn Sie eine billigere Kraft kriegen, als die, die Sie verlangt haben, müßten Sie ja dann konsequenterweise auch den Preis der ursprünglichen und damit teureren Kraft zahlen. Das ist unstatthaft, und daher zahlen Sie das, was die Kraft wert ist, nicht mehr aber auch nicht weniger. Die Abmachung, die wir getroffen hatten, war individuell, und daher hab ich mich nicht mehr dran erinnern können, bitte interpretieren Sie das nicht so, als hätte i ch Profit schlagen wollen.“ Ich schrieb ihm, daß so eine Abmachung sicher nicht individuell getroffen wird, denn das wäre den anderen gegenüber ja ungerecht, und nach meiner Wahrnehmung kam der Satz: „Das ist dann MEIN Problem“ sehr spontan und klang so, als sei das eine generelle Regelung. Und ich möchte nicht, daß meine Wahrnehmung im Nachhinein verdreht wird, die war schon richtig so. Dann kam folgende Mail: „Was immer auch verwirrte, es ist und war mein Problem, wenn ich keine passende Kraft finde, schade, daß Sie denken, ich hätte Ihre Wahrnehmung verdreht, wir haben das doch in unserem Gespräch klären können, dachte ich.“ Dabei hat darüber kein Gespräch mehr stattgefunden. Im Gegenteil, es hieß immer nur: „Ich habe nichts falsch gemacht, mehr sage ich dazu nicht mehr.“ Das erinnert mich an Politiker, die erst eine Sache versprechen, sie dann brechen. Wenn man sie dran erinnert, dann haben sie das Versprechen nie gebrochen. Das ergibt ein Dementi des Dementi. Ich habe wieder einmal die Achtung vor anderen ein Stück verloren und war am Boden zerstört. Hätte er gleich zu Anfang gesagt: „NEIN, bei UNS ist es egal, was Sie ursprünglich wollten, es geht NUR nach Qualifikation“, hätte ich das zwar zähneknirschend aber doch hingenommen. Aber da wollte er halt gut dastehen und mit mir ins Geschäft kommen. Und hätte er hinterher gesagt: „JA, das stimmt, das haben wir so ausgemacht, entschuldigen Sie“, hätte ich das auch noch hingenommen. Aber dann auch noch so gnädig und herablassend zu sagen: „Dann machen wir es halt so, mir ist das auch wurscht“, das hat mich geärgert. Selbst wenn er am Ende gesagt hätte: „Ja, da hab ich mich in Widersprüche verstrickt, das war blöd, tut mir Leid“, hätte ich die allergrößte Hochachtung gehabt. Er gab mir auf meine Bitte, das wenigstens zuzugeben, die Nummer seiner Vorgesetzten. Es gab noch einen ziemlich turbulenten SMS-Wechsel. Ich habe ihm gesagt, wenn er das nicht mit mir klärt, geht ein Schreiben an seine Vorgesetzte. Statt das dann mit mir zu klären, hat er einfach meinen Brief sofort an seine Vorgesetzte weiter geleitet, weil wir ja alle so „transparent“ arbeiten. Die hat sich nie bei mir gemeldet. Ob er es wirklich an die Vorgesetzte weiter geleitet hat oder nur mir den Wind aus den Segeln nehmen wollte, sei dahingestellt. Nur eine halbherzige Entschuldigung für das „Mißverständnis“ konnte ich ihm abtrotzen, aber das war kein Mißverständnis.
Dann kam noch folgende Situation:
Meine Helferin war in Urlaub. Ich wußte, daß es auch andere ambulante Dienste gibt, und daß ich das Recht habe, mir auch von anderen ambulanten Diensten Hilfe einzukaufen. So suchte ich mir dort eine Vertretung. Als der Leiter meines ambulanten Dienstes mal wieder bei mir war, sagte ich ihm, daß ich eine Vertretung für die Helferin gefunden hätte. Er meckerte, das hätte ich doch auch bei ihm nehmen können, und warum hat die Helferin mir das nicht gesagt, daß er auch Ersatz hätte beschaffen können. Ich verteidigte die Helferin und meinte, daß sie dazu nicht mehr gekommen sei, weil ich bereits bei dem anderen Dienst die Vertretung gesucht hätte. Aber er meckerte immer weiter und all meine Erklärungen kamen nicht an. Dann meinte er auch noch: „UND DOCH kriegt die Frau jetzt eins auf den Deckel, darf man gar nicht hochkokmmen lassen, die Mitarbeiter!“ Ich schaute ihn offenbar recht geschockt an, und dann meinte er, das sei nur Spaß gewesen. Ich fand das total unprofessionell, mit einer Gesprächspartnerin so umzugehen, und das, obwohl ich ihm obendrein auch noch vorher gesagt hatte, daß ich mit Ironie Probleme habe. Das tut man nicht, und schon gar nicht bei jemandem, mit dem man professionell als Helfer zu tun hat. Ich habe ihm das geschrieben, und da kam nur: „Entschuldigen Sie meinen ‚unangebrachten‘ Humor.“ Ich solle die Helferin fragen, ob er sie wirklich so zusammengestaucht hätte, ich könne das ja nachprüfen. Dabei ging es mir gar nicht darum, sondern um seine fehlerhafte Reaktion, auf meine Erklärungen nicht einzugehen sondern dann nur mit einem blöden Witz zu reagieren, den man in dieser Situation auch noch hätte Ernst nehmen können. Ich versuchte vergeblich, ihm zu erklären, daß das wirklich unangebracht war, ni cht nur in Anführungsstrichen, aber er meinte, er lasse sich seine Formulierungen nicht vorschreiben, und jemandem den Spiegel vorhalten, wenn er es nicht wolle, sei aufdringlich. Das Höchste der Gefühle war dann nur der Satz: „Es tut mir Leid, daß SIE sich darüber geärgert haben, und ich die Ursache war. Das nächste Mal antworte ich so, wie SIE es brauchen und verdient haben.“ Dabei ging es nicht darum, daß ICH etwas Besonderes brauche, sondern, daß das ein Kunstfehler in einem professionellen Gespräch war, den man bei KEINEM so macht. Mir hätte es wirklich gut getan, wenn gekommen wäre: „Danke, daß Sie mir das sagen, so eine Reaktion war wirklich blöd, ich bin manchmal so, das tut mir Leid, und es ist schön, daß Sie mich drauf hinweisen. Sie haben Recht, daß Sie das geärgert hat.“ Das wäre etwas anderes gewesen, als bloß wieder mir alles in die Schuhe zu schieben.
Beispiel neueren Datums:
Vor einem Jahr machte ich eine Auslandsreise. Hierfür schloß ich eine Auslandskrankenversicherung für acht Euro ab, und zwar bei meiner Krankenkasse, die mit einer privaten Versicherung fusioniert hat. Doch da wurde ein Fehler gemacht, da sie vergessen hatten, mein Geburtsdatum einzutragen. Somit kam erst kein Versicherungsschutz zustande. So schloß ich sicherheitshalber nochmals eine Auslandskrankenversicherung bei der Sparkasse ab. Die kostete sieben Euro. Mittlerweile hatte man aber das korrekte Geburtsdatum bei der privaten Krankenversicherung richtig eingetragen, so daß ich nun doppelt versichert war. Ich hatte nicht gesehen, daß man das hätte kündigen müssen, damit es nächstes Jahr nicht weiter läuft. Dieses Jahr buchte die PKV einmal acht und einmal zwanzig Euro ab. Ich wußte erst gar nicht, für was das sein sollte. Da ich aufgrund meiner Behinderungen eine Betreuung genommen habe, die mich in Gesundheitsangelegenheiten, Ämtern und Sozialgesetzgebung unterstützt, rief ich dort an. Meine Betreuerin war in Urlaub, so daß ihr Kollege sie vertrat. Ich gab ihm die Buchungsnummern beider Abbuchungen durch. Ich erklärte ihm, daß ich eine Krankenversicherung für acht Euro abgeschlossen hätte. Er meinte, so billig gäbe es ja gar keine Versicherung, und die Buchungsnummer der acht und der zwanzig Euro stimme überein, und daher sei das ein- und dieselbe Versicherung, nur mit dem Unterschied, daß sie unterm Jahr billiger sei, und nun 20 Euro für das gesamte Jahr kosten würde, und das sei auch ein normaler Preis für eine Auslandskrankenversicherung. Ich erklärte ihm aber, daß die Buchung IMMEr im April stattfand, also waren die ersten acht Euro für das ganze Jahr. Und ich bewies ihm, daß es durchaus so günstige Auslandskrankenversicherungen gibt, da ich bei der Sparkasse eine für sieben Euro abgeschlossen hätte. Er blieb aber bei seiner Meinung und meinte, nein, so günstig gäbe es keine Versicherung. Er hat nur wegen der acht Euro nachgefragt, anstatt beide Beträge in das Schreiben zu setzen und nachzufragen, wofür der eine und wofür der andere ist. Meine Bitte, doch für beide Beträge nachzufragen, wischte er vom Tisch: „Die Buchungsnummern der acht und der 20 Euro stimmen überein, das stimmt schon so.“ Ich war ärgerlich, daß er mir nicht glaubte, denn ich habe schon so viele Reisen im Rahmen meines Studiums gemacht und daher viele dieser Versicherungen abgeschlossen. Ein bißchen kann man ja doch jemandem glauben, auch wenn er behindert ist und Hilfe braucht. Somit war ich angestachelt und rief bei der Kasse an. Die sagte mir, daß die acht Euro für die Auslandskrankenversicherung seien. Wofür die zwanzig Euro seien, wissen sie nicht. So gab sie mir eine Nummer der Versicherung, wobei ich auf einer Festnetznummer bestand und nicht die teure 0180-Nummer anrufen wollte. Dort gab man mir dann wieder eine andere Nummer. Die rief ich an, und dort versprach man mir, da ich nicht so schnell mitschreiben konnte, die Versicherungsnummern der beiden Policen per Mail zu schicken. Das klappte dann auch nach mehreren Anläufen. Als ich dann bei der Krankenversicherungsabteilung der privaten Versicherung anrief, meinte der: „Die 20 Euro kamen zustande, weil man Ihr Geburtstdatum vergessen hatte und vom Höchstalter ausging, und die acht Euro sind entstanden, weil man dann das richtige Geburtsdatum eingegeben hat.“ Warum dann letztes Jahr nur einmal acht Euro und nicht auch schon die 20 Euro abgebucht worden waren, wußte er nicht. Er empfahl mir, die 20 Euro zurückzuholen und auf Mahnungen nicht zu reagieren, so würde die Versicherung mit dem Höchstalter gelöscht.
Ich schrieb eine ziemlich ärgerliche Mail an den Vertreter meiner Betreuerin, daß er mir ruhig hätte glauben können, weil ich ja nicht geistig umnachtet sei sondern ein gutes Gedächtnis hätte, und daß sich der Sachverhalt so zugetragen hätte, und ich also doch recht hatte, daß die acht Euro für die Krankenversicherung seien, und die 20 Euro zu Unrecht abgebucht wurden, und man seinen Klienten halt auch mal was glauben soll, weil ich aufgrund meiner zahlreichen Reisen auch nicht auf der Brennsuppe dahergeschwommen sei. Er rief an, bevor er die Mail erhalten hatte: „Da kam jetzt ein Fax, die ACHT Euro sind auch für eine Auslandskrankenversicherung!“ Verwunderung, Verwunderung! Ich sagte ihm knapp, daß sich alles geklärt habe, und daß ich ihm bereits eine Mail geschrieben hätte. Auf meine Mail antwortete er dann ziemlich wütend: „Ich habe Ihnen von ANFANG an geglaubt, und wenn Sie das alles von Beginn an alleine haben machen wollen, dann hätten Sie es doch gemacht.“ Ich schrieb zurück, daß mein Ton zwar unverschämt war, daß ich aber verletzt war, weil er mich so unterschätzt hat, und daß er mich ja schließlich nicht kennt, und daß er schon unterscheiden muß, ob er einen fitten oder weniger fitten Klienten vor sich hat, und daß man die Kompetenzen der Leute doch schon noch mit einbeziehen sollte. Dann kam wieder eine Mail: „Ich habe Sie von ANFANG an verstanden. Ich wertschätze alle Klienten, und alle sind auf ihre Art fit, und ich beziehe IMMER die Kompetenzen aller mit ein. Und ich hatte einen arbeitsintensiven Tag, und das kommt schon mal vor, und dann kam noch Ihre Mail, und ich bin ja auch nur ein Mensch, und muß auf meine Psychohygiene achten.“ Nun hab ich nochmal geschrieben, daß zu einer sauberen Psychohygiene auch dazugehört, einen Fehler einfach gleich rundweg zuzugeben, da ein Fehler nicht schlimm ist, daß es aber schlimmer ist, dann zu sagen, man habe das doch von Anfang an geglaubt und verstanden usw, statt einfach zuzugeben: „Stimmt, tut mir Leid, da hab ich Sie unterschätzt, ich hätte gleich alle beiden Beträge nachfragen sollen und Ihnen glauben, daß Ihre Auslandsversicherung so günstig ist, Sie sind ja nicht ganz unerfahren.“
Meine Achtung vor den Menschen ist wieder einmal bestätigt worden. Kennste einen, kennste alle.
Fehler machen ist eine Sache, aber dann immer probieren, den Fehler dann wiederum mit einem anderen Fehler zu verschleiern, das nötigt mir dann die Mißachtung der Menschen ab. Ich selbst bin zwar alles andere als fehlerfrei, aber wenn ich mir eines auf die Fahne schreiben darf, dann ist es, Fehler zugeben zu können. Nur habe ich davon mittlerweile auch Abstand genommen, da einem das nicht gedankt wird. In meiner Zeit als Ausbilderin habe ich oft gesagt: „Oh, da hab ich einen Fehler gemacht. Das hätte ich anders schreiben müssen.“ Ich wollte den Unterrichtso transparent wie möglich gestalten, damit die Leute nicht verwirrt sind, warum mal so und mal so. Das wurde mir aber damit quittiert, daß die Rehabilitanden dann sagten: „NA, GELL, sehen Sie, hab ich doch gleich gesagt, GELLE, hab ich doch gewußt, GELLE, das hätten Sie doch wissen müssen.“ Oder: „Sind Sie sich DIESMAL sicher, oder haben Sie es wieder falsch hingeschrieben.“ So hab auch ich angefangen, lieber Fehler zu vertuschen, weil ich mich nicht dem Gefeixe aussetzen wollte, daß dann auch noch auf einem herumgetrampelt wird, wenn man Fehler zugibt, anstatt, daß es einem positiv angerechnet wird.
Ansonsten wäre mir eine Welt, in der man einfach Fehler gleich zugibt, Schwächen auch gleich eingesteht und auch mal zugibt, daß man was aus einer Situation gelernt hat, lieber als eine solche Welt, in der jeder nur rumschleimt, „ich nehme alle Menschen ernst, ichhab schon immer alles verstanden, das haben Sie nur falsch aufgefaßt….“. Ich finde es gut, wenn einer was lernt und sagt: „Ich hab Sie unterschätzt, das hat mich wieder ein Stück weiter gebracht.“ Wenn man etwas vertuscht, dann macht man denselben Fehler später wieder. Meine Rehabilitanden haben immer das s am Ende eines englischen Verbes bei he/she/it vergessen. Wenn ich sie drauf aufmerksam gemacht habe, meinten sie: „Da haben Sie sich verhört.“ Anfangs glaubte ich wirklich, ich hätte mich verhört und entschuldigte mich. Später kam ich auf den Trichter, daß die das falsch sagen, sich aber dann rausreden. So haben sie nie was wirklich gelernt sondern haben nur noch gekonnter die Fehler verschleiert.
Meine Achtung vor den Menschen ist nicht sehr groß. Ich hätte gerne mehr Menschenliebe und gerne mal jemanden, der mir dazu einen Grund gibt.

Samstag, 23. April 2011

Freiwillige und unfreiwillige Fastenzeit

Dieses Jahr habe ich ein kleines Experiment gemacht und während der gesamten Fastenzeit abends keine Schokolade gegessen. Denn ich habe festgestellt, daß das zu einer Gewohnheit wurde oder gar zu einer Sucht. Jeden Abend habe ich ein-zwei große Reihen Schokolade gegessen. Daher dachte ich, versuch es mal, ob Du das ohne aushältst. Zuerst dachte ich, das klappt nicht. Aber es ging erstaunlich gut. Nur einmal, beim Geburtstag meiner Freundin, habe ich zu meinem Espresso in der Wirtschaft ein Stück Schokolade bekommen. Und wenn bei den Keksen oder Kuchen am Nachmittag Schokolade dabei war, hab ich sie nun auch nicht runtergekratzt. Ich frühstücke morgens, trinke mittags Espresso und esse Kekse und Joghurt (oder Kuchen), und abends esse ich warm. Das habe ich auch jetzt so beibehalten. Aber natürlich hab ich nicht den Anteil an Schokolade, den ich abends weggelassen habe, dann mittags gefuttert sondern wirklich drauf geachtet, daß der Teil wegbleibt. Aber wie gesagt, eine totale Schokoladen“Karenz“ direkt hab ich nun nicht eingehalten.
Dann gab es noch ein unfreiwilliges Fasten. Bei uns an der Dialyse wurde das Essen schlechter. Auf einmal servierten sie nur noch die wesentlich schlechteren Menüs in den weißen Schalen. In den Aluschalen gibt es immer sehr gute und reichhaltige Sachen wie Aufläufe, Jägerschnitzel, Lasagne, Apfelstrudel usw. In den weißen Schalen ist wesentlich weniger drin, es ist wesentlich fettiger und liegt teilweise schwer im Magen. Auch geschmacklich läßt es mehr als zu Wünschen übrig. Ich fragte mehrfach bei den Küchenfrauen an, bekam aber immer unterschiedliche Auskünfte. Einmal hiße es, die Verwaltung legt die Listen vor, aus denen die Küchendamen die Menüschalen aussuchen und bestellen können. Angeblich seien die Aluschalen genauso teuer wie die Plastikschalenmenüs. Dann hörte ich wieder, daß die Alumenüs teurer seien. Eine Schwester meinte gar, die eine Firma habe die andere aufgekauft, und es sei alles von derselben Firma. Der Höhepunkt war dann ein Abend, an dem ich das Menü mit den drei Pastasorten bestellt hatte. Stattdessen kam dann: Rosenkohl, ein paar Brocken paniertes Schnitzel und ungesalzener Kartoffelbrei, der so ekelhaft schmeckte, daß ich ihn nicht aufessen konnte. Die Schwester meinte: „Mein Sohn sagt dazu NATO-Kitt.“ Das war aber eher schon Fensterkitt. Ich kam total hungrig nach Hause und habe sogar meinen Vorsatz, abends keine Süßigkeiten zu essen, mit einer Waffel gebrochen, weil mein Bauch schon wehtat, und ich nicht mal Obst essen konnte, ohne daß es im Bauch brannte. Da beschloß ich, nun endlich zu handeln. Ich befürchtete zunächst, daß der Schuß nach hinten losgehen würde, und es dann vielleicht gar nichts mehr Warmes gibt, wie das an anderen Dialysen der Fall ist. Aber ich hatte mit der Küchenfrau gesprochen, die mich ebenfalls ermunterte, mich an die Verwaltung zu wenden, denn auch ihr waren die Aluschalen lieber, da die besser aufzumachen und praktischer aufzuwärmen sind. Ich zog die ganze Sache positiv auf, erklärte, wie gut mir bisher in den drei Jahren an diesem Zentrum das Essen geschmeckt hatte, daß es (und das stimmt) Restaurantqualität besaß, und daß ich so viele gute Gerichte in letzter Zeit vermisse. Ich legte noch dar, daß Schonkost oder Diätkost oder zu kleine Portionen für Dialysepatienten kontraindiziert sind, da wir gut essen müssen, weil die Dialyse zehrend ist, und wenn wir schon da hinmüssen, wir uns wenigstens auf was Gutes zu Essen freuen können sollten. Ich fing also an, aufzuzählen, was mir bisher gut geschmeckt hat. Und es kamen sage und schreibe 34, in Worten vierunddreißig Gerichte heraus, die ich dort besonders gerne esse. Den Brief gab ich ab mit der Bitte, ihn an die Verwalterin weiter zu leiten. Einen Tag später sprach ich die Küchenfrau darauf an. „JA, ich weiß, meinte sie, und Cordon Bleu und Gnocchis waren auch dabei“, meinte sie grinsend. Tatsächlich stand diesmal Cordon Bleu auf dem Speiseplan. Sie erklärte mir, daß die weißen Schalen Schonkost seien und nicht mehr kosten würden als die Aluschalen. Sie meinte, die anderen ihrer Kolleginnen würden immer das Falsche aussuchen. Nun würde es aber wieder Vollkost geben. Das freut mich sehr. Gestern kam es zwar wieder in der weißen Plastikschale, aber die drei Pastasorten waren wunderbar lecker. Somit ist die freiwillige und die unfreiwillige Fastenzeit vorbei, und ich hab es mehr oder weniger durchgehalten.

Donnerstag, 7. April 2011

Kleiner Kerl ganz groß

Dies ist keine wahre Geschichte, aber sie ist mir eingefallen, weil sie passend ist, und ich schreibe sie auf, weil ich sie so süß finde. Alle Namen sind frei erfunden oder so verändert, daß man sie nicht zuordnen kann. Dies ist die „verrIGELte“ Version einer Geschichte, die mich an etwas erinnert.

Es war noch eiskalt, aber es mußte frische Luft ins Zimmer, und so öffnete sie die Balkontür und trat etwas in die Kälte hinaus. Da sah sie etwas auf dem Tisch liegen: Es war ein Igel. Er lag auf der Seite, die Füßchen in die Luft gestreckt und schon ganz steif. Sie ging näher hin. Er hatte ein graues Stachelkleid, schwarze Fußballen und war mit grauem Fell am Bauch versehen. Vielleicht lebt er noch, vielleicht aber auch nicht, dachte sie. Sie beschloß, ihn in die Katzenkiste zu legen. Wenn er erfroren war, könnte sie ihn nach einem Tag nach draußen bringen, wenn nicht, würde er sich wieder aufwärmen. So stellte sie die Katzentragekiste neben den Fernseher im Wohnzimmer.
Am Abend setzte sie sich gemütlich vor den Fernseher und schaute ihre Lieblingssendung. Sie war so vertieft, daß sie das Geräusch zuerst gar nicht bemerkte. Doch als es immer lauter wurde, näherte sie sich der Katzenkiste. Zu hören war ein Rumoren, Schnuffeln und Piepsen. „Ich DREH durch! Ich dreh DURCH! Ich DREH DURCH!“ Der Kleine war offenbar in Panik. Was sollte sie machen? Sie drehte den Katzenkorb auf die Seite, aber der Deckel würde so immer wieder zuklappen. So stellte sie den Katzenkorb so, daß der Deckel auf den Boden aufklappte, holte geschwind einen Napf und füllte ihn mit Wasser, nahm ein Tellerchen aus dem Schrank und füllte etwas Müsli darauf. „Danke!“ Der Igel futterte und schmatzte und beruhigte sich langsam. „DANKE! Mein Atem geht schon viel langsamer.“ -- „Schön. – Wie heißt Du?“ – „Rigel.“ -- „Wie?“ – „Rigel“. -- „Igel“? – „NEIN, RRRIGEL“. -- „Rigel wie Schokoriegel?“ – „Nein, Rigel wie Rigel.“ -- „Das ist aber ein lustiger Name.“ – „Wieso? Mein bester Freund heißt Hagel.“ -- „Habt Ihr alle solche Namen?“ -- „Ja, es gibt Rigel, Nagel, Hagel, Zigel, Strigel, Mogel, Regel, Segel, Sigel, Tigel, Pegel, Spigel, Wagel, Kegel, Flegel und viele andere.“ -- „Vogel auch?“ – „Nein, das ist doch ein anderes Tier!“ -- „Ist Rigel Dein Vor- oder Nachname?“ -- „Das ist mein Vor-, Nach- und Mittelnahme.“ -- „Naja, bei uns Menschen ist das halt anders. Ich zum Beispiel heiße Isabel Maria Steinbech. Mein Vorname ist Isabel, den Mittelnamen Maria hab ich von meiner Patin, und Steinbech ist mein Nachname. Hast Du das verstanden?“ – „Nö, ich bin blöd. Du mußt nochmal von vorne anfangen.“ Ironisch konnte das Kerlchen also auch sein. „Wie bist Du denn auf meinen Balkon gekommen?“ -- „Ich bin aufgewacht, jemand hat die Tür von der Kiste zugeknallt, wo immer die Autos drinstehen.“ -- „Du meinst eine Garage.“ -- „Ja, genau. Und dann konnte ich nicht mehr einschlafen, und da hab ich gedacht, ich geh jetzt zu den Menschenhäusern, da ham scho so manche von uns überwintert, und vielleicht kann ich da auch unterkommen.“ -- „Du hast aber wirklich ein schönes Stachelkleid, und Dein Bauch ist aber ganz weich.“ -- ZACK, der Igel rollte sich blitzschnell zu einer Kugel zusammen. „Rigel, ich tu Dir doch nichts.“ -- „Ich kann des net steuern, das ist ein Reflex.“ -- “Brauchst Du irgendwas Bestimmtes, ich hab noch nie einen Igel bei mir zu Gast gehabt. Schläfst Du dann im Winter bei mir auch, oder bleibst Du so wach wie im Sommer?“ -- „Ich brauch mei Ruh.“ Also suchte sie eine Decke, räumte das unterste Fach eines Schränkchens leer und machte ein behagliches Lager für ihren kleinen Gast. Der legte sich auf die Decke und schlief friedlich ein.
„Da GEH ich net rein! Ich GEH da net REIN!“ – „Aber ich muß Dich doch transportieren, wenn die Tierärztin Dich untersuchen soll.“ Rigel zappelte mit seinen vier Füßchen in ihrer Hand und strampelte wie wild. „Da GEH ich net rein!“ – „Du mußt aber zum Tierarzt, und das geht nur im Transportkorb.“ -- „Ich flipp aus, und dann beiß ich Dich!“ – „Du beißt nicht die Hand, die Dich füttert.“ -- „Soweit denk ich dann net, und dann brennt bei mir amal die Sicherung durch, ich bin da einfach g’strickt.“ -- „Also gut, wenn ich die Ärztin ins Haus kommen lasse, wirst Du Dich dann untersuchen lassen?“ -- „Das kann ich net garantier’n.“ „Ohhh, Mann!“ Die Tierärztin kam, der Igel war nicht auf seiner Decke. Beide suchten in allen Ecken. Rigel lag hinter dem Fernseher zusammengerollt. Die Tierärztin nahm ihn hoch, legte ihn auf den Tisch und probierte, ihn aufzurollen. „Der ist ganz schön wehrhaft.“ Sie faßte ihn schließlich so, daß sie mit der Hand auf seine weiche Seite kam und ihn abhören konnte. „Das Kerlchen ist gesund, Parasiten hat er auch keine, alles in Ordnung.“ So legten sie ihn wieder auf seine Decke, wo er fest zusammengerollt liegen blieb. Eine halbe Stunde, nachdem die Tierärztin gegangen war, schaute sie nochmal nach ihm. „Rigel, komm roll Dich wieder auf, die Tierärztin ist weg, es ist vorbei.“ -- „Nein, üs bün jetzt ün meinem Schutzraum,“ tönte es aus der Stachelkugel. „Komm, es tut Dir keiner mehr was.“ -- „Nein, üch wüll net.“ – „Komm, sei doch nicht sauer.“ – „Üch bün net sauer, auch wenn des jetzt so rrrrüberkommt.“ Nach zwei Stunden brachte sie ihm etwas zu Futtern. „Rigele, komm, es gibt was Gutes.“ – „Nein.“ -- „Wie langewillst Du denn noch so zusammengerollt liegenbleiben.“ – „Weiß üch net.“ Am nächsten Tag brachte sie ihm etwas Brot mit Käse, das sie vom Frühstück übrig hatte. Er lag wieder ganz aufgerollt und friedlich da, als sei nichts gewesen, auf seiner Decke und nahm dankend und freundlich sein Frühstück entgegen.
„Also paß auf,“ sagte Moriz, „Du gibst mir was von Deinem Futter ab, und dafür laß ich Dich in Ruhe.“ -- „Und wenn ich net mitspiel?“ -- „Dann mach ich Dir das Leben zur Hölle.“ – „Des laß ich mir net g’fall’n.“ -- „Dir wird nicht viel anderes übrig bleiben, denn ich kratz Dich, und dann rollst Du Dich ein, und ich spiel Fußball mit Dir.“ -- „Ohhhuhuhooooh, immer bin ich so passiv, und des will ich net! - Also gut, Du korrupter Kater, dann machen wir des so.“
„Du hast einen guten Appetit, alles, was ich Dir hinstelle, ist immer ganz und gar weggeputzt. Ich geb‘ Dir ja gerne was ab, aber nicht, daß Du mir zu dick wirst, und dann kannst Du Dich nicht mehr zusammenrollen.“ – „Dann wer‘ ich so dick wie die Moni.“ – „Wer ist denn die Moni.“ -- „Das is mei Frau.“ -- „Oh, Monika heißt die.“ – „NEIN, die heißtMoni, wenn ich sach Moni, dann heißt sie Moni, net mehr und net weniger.“ -- „Hast Du auch Kinder?“ – „Ja, letztes Jahr war’n es Rigel, Moni und Hagel, wie mein Freund.“ -- „Die erstgeborenen Kinder werden zunächst nach den Vornamen ihrer Eltern benannt.“ – „Hey, Du bist ‘ne Kluge. Dieses Jahr heißen sie Moni, Rigel und Ziwi.“ – „Und der Zivi ist…“ – „DIE Ziwi!“ – „DIE Ziwi ist die Letztgeborene.“ -- „Hey Du bist wirklich ‘ne Kluge, ‘ne richtig Pfiffige.“ -- „Haben die Igelweibchen auch so komische namen?“ -- „Warum, die heißen halt Leni, Moni, Ziwi, Hiwi, Rudi, Lili, Loni, Andi und Tini und viele andere.“ -- „Kiwi auch?“ – „Nein, das ist doch ein Vogel und eine Frucht!“ -- „Du bist aber auch ein ganz Kluger.“ -- „Na klar, ich hab ja auch studiert.“ -- „So? Was denn?“ -- „Die Igelfamilie. Beispielsweise gehen immer erst die Weibchen und dann die Männchen. Und manche Alten wollen ihre Kinder net geh’n lassen, oder die wollen net weg,weil’s so schön ist daheim, aber wenn der Frühling kommt, müssen sie weg und suchen sich ihre Frau oder ihren Mann und gründen ihre eigene Familie.“ – „Du bist ein hübsches Kerlchen.“ -- „Nö, ich hab das Stachelkleid wie mein Vater, und der war nethübsch. Aber die Moni, die ist ganz schwarz, und ganz rund.“ – „Ich finde alle Igel süß.“
Sie saß gerade auf dem Sofa und las, als sie ein Schluchzen aus der Ecke der Igeldecke vernahm. Sie ging näher, und tatsächlich, Rigel schniefte und schnuffelte und schluchzte. „Hey, Rigele, was ist denn los?“ -- „Üch vermiss mei Moni.“ -- „Du wirst sie bald wieder sehen.“ – „Aber des is noch so lang, des halt ich net aus.“ – „Die Moni schläft jetzt, die weiß gar nicht, daß Du weg bist.“ -- „Aber ich, und ich vermiss sie so sehr.“ – „Deine Moni träumt ganz sicher von Dir, und wenn es Frühling wird, dann kannst Du wieder zu Deiner Moni.“ -- „Des is noch sooo lang!“ -- „Bald, in ein paar Monaten ist es soweit.“
In der Zwischenzeit wußte Rigel genau, wie man es sich gemütlich machen kann. Oft krabbelte der Igel aufs Sofa und kuschelte sich dort in eine Ecke. Da passierte es schonmal, daß sie ihn fast übersah und sich um ein Haar auf ihn setzte. Doch Rigel wußte sich zu helfen, indem er ein lautes „Ey“ ausrief und sich blitztschnell zusammenrollte, so daß sie beinahe seine Stacheln im Hintern gehabt hätte. Diese „Igelhupe“ bewahrte ihn auch davor, daß jemand auf ihn trat, wenn er auf dem Boden entlangtappste. Eines Tages lag er friedlich entspannt auf dem Sofa auf der Seite, nicht zusammengerollt, eher wie ein Croissant oder ein Embryo, mit leisem hohen Schnarchen. Moritz sprang aufs Sofa und zwängte sich zwischen Igel und Sofalehne, so daß beide eng aneinander gekuschelt dalagen. Rigel war an Moritz‘ weichen Bauch gedrückt. „Moni, meine Moni.“ Was war das, er sprach im Schlaf. „Meine Moni, meine weiche Moni“, murmelte der Kleine vor sich hin. Moritz streckte sich und stemmte dabei seine Krallen in den stacheligen Igelrücken. „Moni, Moni meine Weiche … Ey, Moni, was stichst Du mich denn?!“ Er öffnete die Augen und schaute Moriz an! „Du blöder Kater! Laß mich LOS!“ -- „Geht nicht, meine Krallen haben sich in Deinen Stacheln verhakt!“ -- „SCHEISSE“, rief Rigel, und beide rangelten, rauften im Bestreben, sich voneinander zu befreien und kullerten schließlich beide vom Sofa. Es war ein Fauchen, Schnauben, und Schnuffeln zu hören. Endlich hatten sich beide enthakt, Rigel rannte auf seine Decke, und beide fauchten einander wütend aus ihren entgegengesetzten Ecken an. So schnell würden sie sich nicht mehr zusammen aufs Sofa legen, das hatte sogar Moritz begriffen.
So lernten alle drei die Besonderheiten des anderen kennen. „Rigel, willst Du ein Stück Birne, frißt Du auch Obst?“ – „Ja, am liebsten das süße Obst, das runtergefallen ist, das mit den kleinen Würmchen drin.“ – „Ihhh.“ -- „Warum, die schmecken doch gut, so nussig.“ -- „Ich mag das nicht, und bei mir gibt es auch keine Würmer, tut mir Leid.“ – „Macht ja nix.“ -- „Willst Du auch ein Stück Orange?“ -- „Ihhhh. Orange ist so für mich wie für Dich Würmer.“
„Stellen Sie sich mal vor“, erzählte mir meine Haushaltshilfe, als wir zusammen zum Einkaufen liefen, um ein paar Besorgungen zu machen, „als ich heute geputzt habe und den Igel etwas gestreichelt hab, hat er mich angefaucht: ‚Du gehst mir auf die Nerven‘, meinte er. Und dann kam auch noch: ‚Wenn Du schon hier reindarfst, dann stör wenigstens nicht noch die Mitbewohner!‘“ -- „Er ist eigentlich so ganz friedlich. Aber er kann auch ganz schön sauer werden.“ -- „Ja, er ist höflich, aber ganz plötzlich kommen die Stacheln raus.“
„Rigel, was hast Du zu meiner Haushaltshilfe gesagt?“ – „Wieso, weiß net, was hab ich denn g’sacht?“ -- „Du hast gesagt, sie soll Dir nicht auf die Nerven gehen, und wenn sie schon hier reindarf, dann soll sie nicht die ‚Mitbewohner‘ stören.“ -- „Ja is doch auch so, wenn des mei G’fühl is.“ -- „Aber sie muß doch saubermachen können, und wer hier reindarf, bestimme immer noch ich. Und da kann ich genauso gut sagen, Du gehst mir auf die Nerven, wenn Du nachts über das Laminat trippelst, und WENN Du schon hier reindarfst, dann stör DU nicht die anderen Mitbewohner.“ – „Ich glaub, jetzt hab ich meinen Lehrmeister gefunden: Isabel M. Steinbech.“ -- „Also, keine Beschimpfungen gegen die Haushaltshilfe oder sonstwen, und kein nächtlicher Lärm mehr, hast Du das kapiert?“ – „JA, er hat’s kapiert!“ Rigel drehte mir sein stacheliges Hinterteil zu. „Nun sei doch nicht wieder so ironisch!“ -- „Ich muß mich ja auch wehren dürfen, gleiches Recht für alle.“ -- „Wehren tut man sich nur, wenn man angegriffen wird, aber das hier sind berechtigte Vorhaltungen.“ -- „Ich versteh Dich nur wenig.“ -- „Wenig oder viel, Hauptsache, Du gibst nachts Ruhe.“ – „Is recht“, brummte Rigel gutmütig.
Der Igel lag friedlich auf dem Sofa auf dem stacheligen Rücken, das weiche graue Bäuchlein in die Luft gestreckt, die Vorderfüßchen nach hinten abgelegt, die Hinterfüßchen in dieLuft gestreckt, das Mäulchen halb geöffnet und leise schnarchend. So viel Vertrauen hatte er schon gefaßt, daß er sich so schutzlos hinlegte und „in Entspannung gehen konnte“, wie er sich auszudrücken pflegte. Igel haben eine seltsame Ausdrucksweise. Aber es wurde bereits etwas wärmer, und bald würde es so weit sein, daß er wieder nach draußen gebracht werden konnte und seine Zeit hier um war. Es war tagsüber schon über Null Grad, und es gab immer seltener Nachtfrost. Wenn es über vier Grad haben würde, mußte sie ihn nach draußen bringen. Dieser Tag kam dann auch.
„Rigel, komm, ich bring Dich in die Freiheit.“ – Keine Reaktion. „Rigel, komm, ich bring Dich zu Deiner Moni. -- „Moni….“ -- „Komm auf meine Hand.“ Langsam und vorsichtig kletterte der kleine Igel auf ihre Handfläche. Behutsam hob sie ihn hoch, ging mit ihm nach draußen, doch er klammerte sich noch ängstlich an ihre Hand, nicht wissend, wo genau sie mit ihm hinging. Im Garten dann setzte sie ihn vorsichtig ab. Er schaute sich um. „Mach’s gut, Kleiner, paß auf Dich auf!“ -- „Mach’s auch gut, Fraule Isabel.“ Rigel nahm ihre Hand zwischen seine beiden Vorderpfoten, drückte sie fest an sich und flitzte dann davon. So ein kleiner Kerl, und doch so groß in seiner Welt.
„MONI“ – Rigel schautes ich suchend um. „MOOOONNNIII!!!!“ Und er rief noch lauter: „MOOONNNNNIIIIII“ – „IGL“ – „MOOONIII???“ – „IGEL“ – „MOOONIIII???!!!“ – „RIIIGEL!“ – „MONI!“ – „RIGEL!“ – „MONI, MONI!“ Und da sahen sie einander, rannten aufeinander zu, umschlangen sich feste mit ihren acht Pfoten und drückten ihre zwei Bäuchlein fest aneinander. „Ich dachte schon, Du kommst nimmer.“ -- „Ich bin aufgewacht, weil ein Garagentor zugefallen ist, und da bin ich zu den Menschenhäusern, und dann weiß ich nix mehr, und dann bin ich aufgewacht, und es war ganz laut und eng, und dann hat die Isabel mich aufgenommen und ihr Essen mit mir geteilt.“ – „Komm schnell, erzähl mir das ein andermal . Die Kinder gehen. Die Moni ist schon weg. Ziwi geht gerade.“ – „Ziwi geht? Ich muß ihr schnell noch auf Wiedersehen sagen.“ -- Moni flüsterte ihrer Ziwi noch ein paar gute Worte ins Ohr, Rigel verabschiedete sich schnuffelnd von seiner Kleinen. Nun sollte auch Rigel Junior dran sein mit Weggehen. Rigel ging zu ihm und gab ihm noch ein paar väterliche Ratschläge mit: „Laß Dir nix g’fall’n. Friß immer die dicksten Würmer. Und such Dir die rundeste Igelin aus, die Du findest.“
Sie war gerade dabei, ihren Mülleimer zu leeren, eine unangenehme Aufgabe, als sie bemerkte, daß sie etwas am Hosenbein zupfte. Sie sah verwundert nach unten. „Kennst Du mich noch?“ -- „Rigel!“ -- „Genau, rrrichtich, und des is mei Moni.“ Sie sah etwas weiter weg eine kreisrunde Igelin sitzen, die sie aus blitzenden Äuglein ansah. „Hallo Moni.“ – „Hallo! Da sind unsere diesjährigen Kinder: Rigel, Moni und Mogel.“ Neben ihr saßen drei kleine Igeljungen in noch jugendlichen grauen Stachelkleidern. Im nächsten Jahr würden auch sie weggehen, und Rigel und Moni würden noch einige Jahre hier leben. Wenn es immer so einfach wäre, das Zusammenleben, dann wäre es wunderschön. Auf jeden Fall, auch wenn es in jeder Hinsicht des Lebens nie so einfach ist, ist es sicher schön, wenn man einen Igel oder ein anderes Tier bei sich aufnimmt oder überwintern läßt.