Sonntag, 20. Juni 2010

Minnetournier mit Zweikampf

Am Samstag den 5. Juni machten ein Bekannter und ich uns auf den Weg in den östlichen Harz, um ein Minnetournier mitzuerleben, welches als Tributveranstaltung für die Band Ougenweide und deren vierzigjähriges Bestehen veranstaltet wurde.

Schon im Vorfeld gestaltete sich die Planung sehr schwierig. Robert hatte feste Vorstellungen davon, wann er losfahren, ankommen und was er alles dort machen wollte. Alleine hätte ihn die Fahrt einfach 72 und hin und zurück 144 Euro gekostet. Da ich eine BahnCard 50 habe, und meine Begleitperson kostenlos fährt, konnten wir uns die Fahrtkosten teilen. Ein Bekannter tüftelte uns mehrere Reisemöglichkeiten aus und fand heraus, dass wir nur bis Halle lösen mussten. Somit kostete die Hin- und Rückfahrt nur ganze 60 Euro. Jeder musste also nur 30 Euro berappen, um nach Maisburg auf Burg Falkenstein zu kommen. Das Konzert kostete 14 Euro, die Matinee am nächsten Morgen nochmals 7 Euro. Da ich fürchtete, meine 30 Euro nicht von Robert zu bekommen, da er laufend über seine Verhältnisse lebte und noch andere Leute vor mir auszuzahlen hatte, schlug ich einen Tausch vor. Er sollte für mich die Karten im Wert von 21 Euro kaufen und mir die neueste Ougenweide-CD mit bestellen. Da ich ihn laufend eingeladen hatte, gab er sie mir für 10 anstatt für 15 Euro. Somit waren wir quitt. Er bestellte meine Karte erst sehr spät, und am Vortag erhielt ich die Bestätigung, dass das Geld eingegangen sei, die ich zur Vorlage beim Kartenverkauf mitnehmen sollte.

Das Konzert war für 19:30 angesagt. Aber Robert wollte bereits um 6:30 losfahren, damit er um 12 Uhr da war. Warum er so früh fahren wollte, meinte ich. Er gab an, es könne ja was passieren, dass wir später ankämen, außerdem wolle er noch zu Mittag essen, sich die Burg und die Gegend ansehen, und er wolle möglichst früh beim Einlaß zum Konzert sei, um möglichst weit vorne zu sitzen, sonst könne man ja gleich eine CD anhören, wenn man so weit hinten säße. Die Rückfahrt sollte möglichst spät sein, denn er wolle ja noch mit den Bandmitgliedern der verschiedenen Teilnehmer des Tourniers plaudern, einen Braten zu Mittag essen, sich gemütlich auf eine Bank setzen und die Gegend genießen und keinerlei Streß haben. Mein Einwand, dass wir dann erst extrem spät zu Hause ankämen, und dies zu riskant sei, weil ja ein Zug Verspätung haben könne, was sich auf die Anschluß-Züge auswirkt, wurde nur weggewischt, da könne nichts passieren, was solle da schon groß sein? Auf der Hinfahrt kann also was dazwischen kommen, dass wir zu spät zum Konzert kommen, auf der Rückfahrt sei das dann auf einmal nicht mehr möglich. „Ich will das aber so, ich will das und ich will das.“ Meine Einwände, dass er durch mich so billig fahren kann und dann auch etwas Rücksicht auf mich und meine Erkrankung und Behinderung nehmen müsse, zählte nicht. Er selbst ist allerdings ebenfalls krank, kramt das Argument aber nur hervor, wenn es ihm nützt. Ich hätte mich auch seinen Bedingungen zu fügen, so wie er sich meinen. Warum ich ein Problem damit hätte, um fünf Uhr morgens aufzustehen, wenn ich abends erst um 22 Uhr von der Dialyse käme und erst um zwölf Schlafen gehen könne, versteht er nicht, das sei doch wieder ein ganz anderer Tag. Und man soll doch nicht so unflexibel sein, wir könnten am Sonntag, wenn die Matinee früher aus sei, auch früher fahren, aber wenn nicht, wolle er eben so spät wie möglich weg. Mein Vorschlag, er könne doch sein Gepäck gleich zur Matinee mitnehmen, damit wir danach sofort losfahren könnten, wurde bockig abgelehnt. ER schleppt doch nicht den Koffer mit, und er müsse sein Gewand noch ausziehen, und er müsse nochmals ins Quartier zurück usw. Ich sagte ihm dann klipp und klar: Wenn DU das alles willst, dann mach es so, aber dann fährst DU ohne mich.

Da er offenbar begriffen hatte, daß er durch mich soviel Geld spart, lenkte er ein, und wir fuhren erst um 8:30 morgens los. Er bestellte schon ein Taxi, welches uns von Maisdorf zu unserem Quartier nach Banzfeld fahren sollte. Auch die Plätze im Burgrestaurant bestellte er schon vor, damit er zu Mittag essen konnte. Das Taxi hätte einfach 15 Euro gekostet. Daraufhin bat ich ihn, ein anderes mit Mietwagen zu suchen. So fanden wir eines, welches nur acht Euro verlangte. Ich handelte aus, dass wir hin und am Sonntag zurück insgesamt 15 Euro zahlen würden. Als wir in Banzfeld ankamen, ließ man uns erst mal stehen. Robert hatte schon eruiert, dass von Banzfeld eine Bimmelbahn zur Burg hochfahren würde. Die sollte in 15 Minuten losfahren. Aber niemand nahm Notiz von uns. Als dann endlich eine etwas unfreundliche Kellnerin aus dem Restaurant unsere Namen auf der Liste suchte, stellte sich heraus, dass wir nicht im Gästehaus in Banzfeld untergebracht seien, wie Robert mir erklärt hatte, sondern im Selkehaus in Maisdorf. Da hätten wir uns das Taxi sparen können. Der Chef der zahlreichen Gästehäuser kam auf uns zu und meinte, hätte Robert ihm gesagt, dass er zum Minnetournier wollte, hätte er ihn anders untergebracht. So hatten beide aneinander vorbei geredet. Der Chef bot uns an, uns im Auto nach Maisburg ins Selkehaus zu fahren und von da dann wieder nach dem Einchecken zur Bimmelbahn nach Banzfeld mitzunehmen. Er bot auch an, er würde uns am Abend nach seinem Ritteressen mit den anderen Gästen vom Restaurant ins Selkehaus zurückfahren. Robert maulte aber, das sei ihm zu früh, er habe für das GANZE Konzert 14 Euro bezahlt, und er wolle es auch GANZ anhören und nicht mit zurückfahren. Der Chef machte ihm klar: „Es ist nicht meine Aufgabe, Sie herumzufahren, ich wollte Ihnen NUR einen Gefallen tun.“ Ich nahm das Angebot aber dankbar an. Ein Lied oder weniger mitzubekommen, war mir egal. Ich hatte die Nacht zuvor sehr wenig geschlafen, da die Katzen soviel Radau gemacht hatten und immer raus und rein wollten. Außerdem war ich schon früh aufgestanden und wollte nicht um 23 Uhr noch einen anstrengenden Gewaltmarsch durch den Wald von der Burg bergab nach Maisdorf machen. Der Chef meinte, ich solle mich in der Konzertpause bei ihm im Restaurant melden, damit ich erfahren könne, wann der Kleinbus zum Selkehaus fährt. Ich bat Robert, mich in der Pause dort hinzubringen, aber er meinte, er würde dann seinen Sitzplatz verlieren, er könne nicht aufstehen. Als wir dann bei der Bimmelbahn anlangten, eröffnete er mir, er habe das Schreiben mit der Zahlungsbestätigung, welches ich ihm ausgedruckt und übergeben hatte, im Hotel liegen lassen. Na toll, nun würde ich vielleicht meine Karte nicht bekommen. Dann gestand er mir auch noch, er habe seine Eintrittskarten ebenfalls im Hotel liegen lassen. Da wäre ich beinahe ausgeflippt. Ich saß schon bibbernd da, ob wir jetzt überhaupt reinkommen würden. Die Fahrt mit der Bimmelbahn übertraf all meine Befürchtungen. Wir fuhren nicht auf Schienen sondern mit einer Motor-Lok auf der Straße. Wir hingen in einem Wagen hinten dran. Bei der Fahrt über Kopfsteinpflaster, Schotterwege und Waldwege, wo es ja ohnehin schon schaukelt, wurden wir regelrecht durchgerüttelt. Ich wimmerte und weinte die ganze Fahrt hindurch, was Robert schon peinlich war. Ich wäre am liebsten aus der fahrenden Bahn gesprungen. Als ich dann schon so weit war, dass ich beinahe gespieen hätte, waren wir endlich da. Dort schleppte mich Robert gleich zur Kasse, anstatt, dass wir erst mal in das vorbestellte Restaurant zum Essen gingen. Dort erklärte uns die Frau, dass das alles gar nicht schlimm sei, sie würde uns jetzt zwei Karten geben, die könnten wir heute Abend benutzen, und er solle seine Karten einfach beide morgen zur Matinee mitbringen. Ich war schon glücklich über den unkomplizierten Verlauf der Sache, aber ich hatte nicht mit Roberts Sturheit gerechnet. Er meinte, er habe für mich zwei Karten vorbestellt, eine für die Matinee und eine für das Minnetournier, und die wolle er jetzt beide haben. Die Frau meinte, dass es für die Matinee noch zu früh sei, und er solle einstweilen die beiden Karten für den Abend nehmen. „ABER ich WILL mich nicht nochmal für die Matinee anstellen!“ Die Frau erklärte geduldig, dass er ja nun zwei Karten habe, die er für den Abend nehmen könne, und er solle seine beiden, die er unten vergessen habe, für die Matinee nehmen. „JA, aber da steht doch auf der einen Matinee drauf und auf der anderen Minnetournier.“ Das mache nichts, meinte die Frau, er könne beide für die morgige Veranstaltung verwenden. Mittlerweile bediente sie andere Leute, das Telefon läutete, und Robert gab immer noch nicht auf. Er wolle eine Karte für mich für den Abend und eine für die Matinee. Mir platzte der Kragen und ich brüllte ihn im überfüllten Kassenraum an: „Du sollst die beiden Karten, die die Frau Dir gegeben hat, für heute Abend nehmen und DEINE beiden Karten, die Du vergessen hast, für die MAATTINNEEEEE!!!! Der Chef, der uns hochgefahren hatte, meinte, ich solle rausgehen und draußen warten, und ob mich die Fahrt mit der Bahn schon so aufgeregt hätte. Ich erklärte ihm, dass es mit Robert zuweilen sehr schwierig sei. Dann setzte Robert doch noch durch, dass ich eine Karte für das Minnetournier und eine für die Matinee bekam, so dass er nun DREI Karten (seine für den Abend) in der Hand hielt. Beim Essen bat ich ihn dann, mir meine Karten zu übergeben. Da meint der doch glatt: „DU verlierst sie doch nur, und dann kommst Du nicht ins Konzert.“ Ich konterte, dass wer die Karten vergisst, ja wohl er gewesen sei, und daß ich bitte jetzt meine Karten haben wolle. Er gab sie mir mit der Ermahnung, sie nur JA nicht zu verlieren. Ich schlug vor, dass wir beiden anstatt der 35 Euro, die unsere Einzelzimmer jeweils kosteten, jeder von uns 40 Euro geben sollte, da sie uns noch so nett herumfahren. ER wolle aber nicht mehr zahlen, er wolle ja noch auf andere Konzerte, aß aber Eis, ein warmes Menü und verzichtete auf keine Cola und keinen Kaffee. Ich fand das schofel, was ich ihm auch sagte. ER wolle ja nicht mit denen fahren, na dann.

Wir waren natürlich schon um 17 Uhr beim Veranstaltungsort. So hätten wir noch viel Zeit gehabt, die Burg anzusehen. Ich bat Robert, doch mitzukommen, denn es sei doch auch sein Wunsch gewesen, so früh da zu sein, um die Burg zu besichtigen. Er habe keine Lust, er wolle draußen sitzen. Ein Mann, mit dem wir uns unterhalten hatten, meinte, warum gehen Sie nicht alleine da rein. Mein Stock wurde dort nicht als Zeichen für Blindheit interpretiert. Dasselbe passierte mir auch schon im Gästehaus, wo Robert auf einmal mitten im Gespräch verschwand. Als die Wirtin fragte, wo er sei, und ich meinte, ich sehe das nicht, fragte sie: „WIE, Sie sehen das nicht.“ Die kennen dort offenbar nicht die Bedeutung des Blindenlangstockes. Ich hörte den Burgführer rufen, dass die Burg nun bald zumacht, und so fragte ich ihn, ob er mich nochmal eben schnell durchführt. Das tat er auch. Ich fühlte mich bei ihm trotz der steilen Stufen, die auch um die Kurve gingen, sehr sicher. Es gab auch Stufen, die sich teilten, wobei eine Seite in ein Zimmer über eine hohe Schwelle führte, und eine Seite ging weiter abwärts. Ich wusste aber, in der Gegenwart des Burgführers würde ich nicht hinfallen. Er ging immer vor mir und passte gut auf mich auf. Das hätte ich mit Robert sowieso nicht machen können. Ich erfuhr, dass später hier die von Asseburg lebten bis 1945, und daß sie dort Jagdgesellschaften abhielten. Auch für Polizeiruf 110 wurde zu DDR-Zeiten dort gedreht. Es gab auch ein Fräuleinzimmer und einen Rittersaal. Man konnte auch in die Schlafzimmer sehen und dort hinein, wo sie die Jagdfeste abhielten, und wo sie ihre Waffen und Schwerter aufbewahrten.

Das Konzert selbst war ganz große Klasse. Die Jury bestand aus den Bandmitgliedern von Ougenweide. Es wurden nur Lieder gesungen und gespielt, die Ougenweide vertont oder arrangiert und vorrangig gespielt hat. Ein Musiktheater umrahmte alles mit dem Besuch eines gewissen „Frauenlob“ aus dem Mittelalter, der in Begleitung eines Henkers das Konzert kommentierte und beurteilte. Besonders witzig fand ich, dass er sich darüber mokierte, dass so viele Frauen in den Bands mitsangen, wo diese doch der Gegenstand der Minne seien und sich besingen lassen sollten. „Wenn das so weiter geht, kommt noch eine Frau an die Regierung.“ Alle lachten natürlich. Am Ende kam „Frau Minne“ auf die Bühne, die ehemalige Sängerin der Gruppe Ougenweide, die dann mit einem Lied von „Frauenlob“ geehrt wurde. Da ein Bandmitglied kurz nach Beendigung der CD an Krebs verstorben war, wurde ihm auch ein Lied gewidmet. Er hatte einige Stücke vertont, unter anderem die Merseburger Zaubersprüche, die ihm zu Ehren von allen Bands gemeinsam gesungen wurden. Danach war Totenstille, es war zu spüren, dass das jetzt „dran“ war. In der Schweigeminute hörte man jemanden erbärmlich schluchzen. Es war einfach passend zu der ganzen Stimmung und gehörte einfach so.

In der Pause wollte Robert natürlich nicht mit mir zu dem Restaurant gehen, um meine Heimfahrt zu klären. Die Banknachbarin nahm mich dann mit. Dort sagte man mir, ich solle mich nach dem Konzert einfach im Restaurant einfinden. Ich ging noch mit der Banknachbarin mit, um mir ein Schmalzbrot zu holen. Da kam Robert entsetzt angelaufen, wo ich denn sei, er habe mich gesucht. Daß ich ihm sagte, ich ginge mal eben schnell mit der Frau ins Restaurant, hatte er überhört. Ich solle mal eben da warten, er hole sich nur noch was zu Trinken, und dann würde er mich mit zurück zu unserem Platz nehmen. Ich wartete und wartete und wartete, aber kein Robert kam. Als ich schon vor mich hinmaulte, wo er denn bleibt, bot mir eine Frau an, mich mit zurück zu nehmen. Da stürzte er von irgendwo auf mich zu, er habe sich verquatscht. Er stellte mir Olaf, den Sänger von der Gruppe Ougenweide vor. Ich fand immer, er habe so eine zarte Stimme und stellte mir ein kleines, schmächtiges Kerlchen vor. Da drückte mir ein Hamburger Seebär die Hand, als sei ich in einem Schraubstock. Ich jaulte auf und erklärte ihm, dass er so eine zarte Stimme habe, was er gar nicht glauben konnte, was Robert aber ebenfalls bestätigte. Entschädigt durch den Händedruck „verzieh“ ich Robert, mich warten gelassen zu haben. Dann aber steckte mir meine Banknachbarin, er sei ohne mich zurück gekommen, SIE habe ihn nochmals losschicken müssen, um mich zu holen.

Am Ende des Konzerts, bei dem die Irrlichter alle drei der ausgelobten Preise einheimsten und drei Zugaben mit viel Tanz gaben, bat ich Robert, mich ins Restaurant zu bringen. Dort sagten sie mir, er müsse mich zu einer Lichtung unterhalb der Burg bringen, wo der Kleinbus hinfahren und mich mitnehmen würde. Er meinte: „Nein, ich will doch die Bandmitglieder noch sprechen, ich verpasse die doch sonst.“ Die Leute baten ihn: Wenn er klug sei, würde er nun seine Frau nehmen (BEKANNTIN bestand ich!), und mich bitteschön schnell dort hin begleiten. Nach vielem Überreden bequemte und erbarmte er sich dazu, mich zu dieser Stelle hinzubringen. Das war fast im Wald, nur eine Straße ging da entlang, und alle Nase lang kamen mal Leute vorbei. Es war nicht mehr sehr belebt, da es unterhalb der Burg war. Dort angekommen, meinte er, er ließe ich jetzt hier stehen und warten. Ich war entsetzt: „Du kannst mich doch nicht hier stehen lassen, hier kommt nur alle Nase lang mal jemand vorbei, ich kann vergewaltigt werden, hier ist nichts los, ich bin eine wehrlose kleine behinderte Frau!“ Ich hatte furchtbare Angst, da alleine stehen und warten zu müssen, mitten in der Nacht! Er druckste herum, bis dann eine Gruppe Frauen kam, die ein Auto hatten. Er bat sie, mich mitzunehmen. Ich aber meinte, ich müsse wie abgesprochen auf den Kleinbus warten, denn der Fahrer sucht mich ja sonst. Die Frauen boten an, auf mich aufzupassen, bis der Bus kommt. Dann kam eine Familie und meinte, man habe ihnen gesagt, sie sollten mit einer Frau mit Blindenstock auf den Bus warten, und ob ich das sei. Da „entließ“ ich Robert dann zu seinen Band-Kumpels. Es waren ja alle „seine Kumpels“, und er kenne sie ja so gut, und van Langen habe ihm schon des Öfteren ein Bier spendiert. Er tat, als sei er mit all diesen Bands auf Du und Du. Der Bus kam dann endlich, und die Familie begleitet mich noch zu meinem Zimmer im Selkehaus. Die Zimmer waren so angeordnet, dass jede Zimmertür direkt als Balkontür nach draußen ging. Man ging also direkt von außen ins Zimmer. Es gab seitlich noch ein Fenster. Das Bad war nach hinten raus und hatte sogar auch ein Fenster. Es war alles sehr großzügig, alles neu, aus Holz und sehr nett gemacht. Für 35 Euro hätte ich nicht mit einem eigenen Bad mit Dusche gerechnet.

Am nächsten Morgen klopfte ich bei Robert an die Wand, damit er hörte, dass ich auf war, damit er nicht verschlief. Laut sang ich in der Dusche, damit er auch ja hört, dass er aufzustehen habe. Beim Mittelalterfest in Selb hatte er völlig verschlafen, und wir kamen erst eine halbe Stunde nach Konzertbeginn auf das Festivalgelände. Dem wollte ich vorbeugen. Allerdings war er ohnehin schon wach. Im Essensraum sprach uns dann die Familie an, die mir geholfen hatte, und erklärte Robert, sie haben mich sicher nach Hause gebracht. Er meinte, er habe EXTRA nochmals durch meine Glastüre in mein Zimmer geguckt, ob ich auch sicher da sei, er sei erst um 3 Uhr heimgekommen. Ich meinte daraufhin, daß er jetzt auch nicht mehr so besorgt tun bräuchte, er wollte mich mutterseelenallein im Wald auf den Bus warten lassen, und außerdem habe er ja die Bandmitglieder offenbar alle noch gefunden und hätte getrost bei mir warten können, wenn die sogar bis drei Uhr nachts noch dort droben waren.

Das Frühstück war ganz große Klasse, es gab, was man sich nur wünschen konnte: Brötchen, Wurst, Käse, Ei, Säfte, Milch, Kaffee, Tee, Joghurt… Und das alles für 35 Euro! Ich machte mich dann auch gleich ans Zahlen. Robert saß noch rum und rauchte, er wolle sich keinen Streß machen. Um halb zehn sollte uns der Bus wieder zur Matinee abholen. Ich packte alles zusammen und saß danach gemütlich in der Sonne. Für einen Urlaub mit viel Erholung wäre dieses Gästehaus sicher auch sehr passend. Ich unterhielt mich noch kurz mit einem Minnesänger, der früher bei Vogelfrey mitgespielt hatte. Diese Gruppe macht zusammen mit geistig Behinderten und Gymnasiasten das Projekt Saitensprung. Sie sind aus meiner Gegend, was ich gleich an seinem Dialekt hörte. Daher kamen wir ja auch erst ins Gespräch, weil ich ihn fragte, woher sind SIE denn? Von Vogelfrey und Saitensprung habe ich eine wunderbare CD mit einem ganz tollen Konzert, die ich immer wieder gern höre.

Der Busfahrer ersparte uns das Bimmelbahn-Fahren, und auch so war es schon holprig genug. Oben angekommen meinte er, wir sollten dann klären, wann wir wieder zurück wollten. Das Gepäck hatten wir unterwegs in Banzfeld abgestellt in diesem Gästehaus, wo wir am Anfang fälschlicherweise angekommen waren.

Bis zur Matinee war noch viel Zeit, und so erkundeten wir etwas die Gegend, wobei Robert aber mehr oder weniger herumsaß und Kaffee und Cola trank. Er fand heraus, dass es zu Mittag Kesselgulasch und Quarkpfannkuchen gibt. Ich dachte, das sei doch eine gute Lösung, nach der Matinee essen wir: er das Gulasch, ich die Pfannkuchen, und dann gehen wir so, dass wir um 14:40 von Maisdorf losfahren können.

Bei der Matinee war ein Musikwissenschaftler anwesend, der uns erklärte, wie Ougenweide die Lieder verändert oder ganz neu vertont hat, und wo die Melodien teilweise herkommen, und wie sie entstanden. Wir sollten auch mitsingen. Auch dann, wenn niemand mitsang, trällerte Robert in der ersten Reihe total falsch mit. Ich knuffte ihn etwas in die Seite, damit er aufhört, aber er boxte mich heftig zurück. Immer, wenn ich mal einen Laut von mir gab, stupste oder boxte er mich in die Seite, ich solle ruhig sein, grölte und röhrte aber selbst mit, wo immer es möglich war. Nach der Matinee bekam ich den Musikwissenschaftler zu fassen und fiel ihm sichtlich lästig. Aber ich wollte halt einiges wissen: Ob er mir was über die Gruppe Lilienthal heraussuchen könnte, ob er den blinden Komponisten Conrad Paumann aus dem 15. Jahrhundert kenne, und ob er mir Musik von der Gruppe Elster Silberflug besorgen könne, da er ja einen kleinen Musik-Verlag oder -Versand hat. Ich erstand noch eine CD von Ougenweide, nämlich die, die ich als allererstes als Schallplatte bei meiner Schwester gehört hatte und wiederhaben wollte.

Das Ganze war um 12 Uhr beendet. Nach Kesselfleisch und Pfannkuchen hätten wir locker um 14:40 in Maisdorf sein können. Wir setzten uns zu den Betreibern des Spartenradios für Mittelaltermusik Radio Aena. Die boten mir an, ich könnte ein Gesuch aufgeben, vielleicht melden sich dann Leute, die Folk-Musik oder Ähnliches mit mir zusammen machen würden. Ich suche schon lange solche Leute, aber es will und will und soll nicht klappen. Rundherum um uns war große Aufbruchstimmung. Es wurden immer weniger. Der Sänger von Ougenweide verabschiedete sich von uns und drückte mir nochmal fest die Hand, wobei es ganz schön wehtat, aber ich freute mich so, dass er von sich aus auf mich zukam, was ja Leute oft nicht so machen, und dann auch noch so jemand „Bekanntes“. Ich bat Robert, er solle sich doch jetzt sein Kesselgulasch bestellen, so könnten wir dann gehen. „ICH hab jetzt keinen Hunger, mach nicht so einen Streß.“ Ich bat ihn, dass wir doch jetzt gehen könnten, denn alle anderen brechen auch schon auf. Unsere Tischnachbarn wollten auch bald fahren, sie hätten noch vier Stunden Fahrt vor sich. Wir hatten sechs-sieben Stunden, aber Robert machte keine Anstalten. Er langweile sich doch sonst nur in seiner Wohnung, was solle er denn mit dem angebrochenen Abend dann noch anfangen, schließlich kämen wir dann ja „schon“ um halb zehn nach Hause, und er wisse nichts mit sich anzufangen. Außerdem hätten wir ja für 16:40 die Plätze reserviert, und wenn wir früher führen, bekämen wir dann keinen Platz. Ich wandte ein, dass ich nur deshalb so spät reserviert hätte, FALLS die Matinee länger dauern würde, damit ER nicht so früh von der Matinee wegmüsse, aber wenn doch jetzt schon alles aus sei, könne man doch fahren. „Mach keinen Streß“ war die Antwort. Dann bestellte er endlich ein Eis, ich bestellte meine Quarkpfannkuchen. Das war eine ganz schöne Pampe, mit Eis, Kirschkompott und Zimt. Die Pfannkuchen waren dünn, von Quark keine Spur, jedenfalls nichts Sättigendes und obendrein ohne Messer mit nur Gabel und Löffel extrem schwer zu essen.

Dann merkte Robert plötzlich zu seinem Schrecken, dass ihm seine Zigaretten ausgegangen waren. Ich schlug vor, dass wir jetzt nach Maisdorf zur Bushaltestelle fahren könnten, und da gäbe es dann SICHER auch Zigaretten, und wir könnten heimfahren. Nein, er wolle nur Zigaretten haben. So nahm er das Angebot an, mit dem Ehepaar von Radio Aena mit nach unten nach Banzfeld zu fahren. Dort gingen wir in das Gästehaus, wo wir ja unser Gepäck abgestellt hatten. Er ließ mich irgendwo stehen, wo ich gar keinen Platz fand, rannte durchs Lokal und haute jeden Kellner an, ob er ihm Geld für Zigaretten wechseln könnte. Die waren total unfreundlich und meinten, nein, das ginge nicht. Ich stand im Weg, und als mich eine Bedienung zu einem etwas weniger störenden Platz brachte, fragte ich sie, ob wir denn eine Fahrgelegenheit zur Bushaltestelle nach Maisdorf kriegen könnten. Es sei jetzt schon 14:20, und das würden wir ohnehin nicht mehr schaffen, und es gäbe keine Fahrmöglichkeit mehr. Ich nahm das hin und schlug Robert vor, dass wir uns zum Essen da hinsetzen und dann eben erst um 16:40 fahren wie von ihm geplant. Aber er meckerte, die Musik (live mit Keyboard und Schnulzengesang vom Alleinunterhalter) sei so ummöglich, er würde sich da niemals hinsetzen, lieber nur drinnen, wo keine Musik sei. Wir fanden aber keinen Platz. Ich meinte: „Wären wir früher gefahren, hätten wir noch den Fahrer erwischt.“ Er meinte, das sei doch nicht möglich, dass da dann auf einmal ein Fahrer gewesen wäre, nur weil wir kommen. Dann ging er hin und bat um unser Gepäck, was ich ja auch schon getan hatte. Die Frau verdrehte die Augen und stöhnte. Dann meinte er doch glatt: „Wo ist der Fahrer, wir wollen zur Bushaltestelle!“ Die Frau erklärte ihm, dass jetzt kein Fahrer mehr da sei. IHM sei aber versprochen worden, dass wir gefahren werden. Die Frau machte ihm klar, dass er das hätte früher ausmachen müssen, der Fahrer sei bereits in den Feierabend. „ICH will den CHEF sprechen, ich will einen Fahrer!“ Die Frau erklärte uns, dass wir laufen müssten, es seien sechs Kilometer. Ich meinte, dass wir das in zwei Stunden und 20 Minuten locker schaffen würden. „ICH WILL aber nicht laufen! Ich WILL aber nicht laufen!“ Mir war das Theater zu blöd, und ich äffte ihn nach, auf den Boden stampfend: „Ich will aber nicht laufen, ich will aber nicht laufen, ich will aber nicht laufen, neineineineinein!“ STAMPFSTAMPF! Die Frau meinte, ich wolle nicht laufen, aber ich erklärte ihr schnell, dass ICH damit kein Problem hätte, dass aber Robert zu nichts zu überreden sei, wenn der nicht wolle. Da brüllt der los: „Leckt mich doch alle am Arsch, Ihr DRECKSÄUE, ich komme im OKTOBER NICHT hierher, nienienie mehr komme ich her!“ Er rannte schreiend aus der Gaststätte. Ich war vollkommen geschockt und redete auf die Bedienung ein, er hat meine Fahrkarte, ich bin doch blind, was soll ich machen, der ist weg, einfach davongelaufen. Die unfreundliche Frau packte mich, setzte mich auf einen Stuhl in der Ecke und meinte: „Ich kann jetzt nicht noch mit Ihnen diskutieren, beruhigen Sie sich!“ Nachdem keine Hilfe von diesen Leuten zu erwarten war, ich keine Fahrkarte hatte (Robert wollte sie haben, weil er sie schneller herauskramen und dem Schaffner vorzeigen könne, wie er meinte.), am nächsten Tag wieder zur Dialyse musste und nicht alleine zur Bushaltestelle kommen würde, wusste ich mir keinen andern Rat. Ich rief die Polizei an, erklärte, dass wir hier im Gästehaus namens Gartenhaus säßen, dass Robert obendrein noch Epilepsie habe und sich grad furchtbar aufgeregt hätte und davongerannt wäre, ich nicht wisse, wo er sei, fast blind sei und morgen wieder zur Dialyse in meiner Heimat sechs Stunden von hier müsse. Als ich dem Polizeibeamten am Telefon, der wohl in der nächstgelegenen Großstadt saß, beschrieb, wo wir waren, hörte ich die Bedienung sagen: „Da kommt er wieder.“ Er sei ja jetzt wider da, er sei auf Entzug, er habe keine Zigaretten mehr, da flippe er halt aus usw. Wir entschieden uns, das Taxi vom Vortag wieder zu rufen. Eigentlich war mir das schon zu teuer. Ich hatte 9 Euro zahlen müssen, wobei ich die 4,50, die Robert hätte berappen müssen, mühevoll aus ihm herausleiern musste. So gab ich ihm drei Euro, und er rief das Taxi und musste die restlichen 5 bezahlen. Diesmal verlangten sie nur fünf, und so gab ich ihm nichts mehr an Geld, und wir waren einigermaßen quitt. Ich hab keine Lust, immer für andere den Zahlmeister zu spielen, ich will Halbe-Halbe. Wir ließen uns zu einem Restaurant in der Nähe der Bushaltestelle fahren und aßen zu Mittag, Robert bekam endlich seine Zigaretten und war wieder friedlich. Er erklärte mir, dass er ab und zu so ausflippt, und ich solle doch das nächste Mal wissen, dass er wieder kommt. Ich erklärte ihm: „ES wird kein nächstes Mal geben.“ Das drang aber nicht zu ihm durch. Ich sagte ihm schon, dass ich die Polizei wegen ihm gerufen hatte. Ihm war das peinlich, aber ich sagte ihm, das sei sein Problem, nicht meines.

In Aschersleben durften wir dann wieder 1,5 Stunden warten. Robert wollte schon wieder einkehren. Ich habe aber nicht das Geld und darf sowieso nicht soviel trinken wegen der Dialyse. Ich wollte daher unbedingt am Bahnhof bleiben und dem Chor zuhören, den man vom Gartenschau-Gelände her hörte. Er schleifte mich aber einfach hinter sich her, ich wurde nicht gefragt. Als ich dann meckerte, ließ er einfach los und meinte, dann bleib doch hier. Ich erkämpfte mir noch, dass er mich zumindest auf eine Bank setzte. Als er dann wieder kam, hatte er schon wieder Eis und Cappuccino genossen.

Als wir in Halle ankamen, stellte sich genau das heraus, was ich befürchtet hatte: Der Zug von Halle nach Naumburg hatte 20 Minuten Verspätung. Wir würden also erst um 20:51 in Naumburg ankommen und würden womöglich unseren Anschlusszug nach Hause nicht bekommen, der genau um 20:51 losfahren sollte. Robert meinte wieder: „Mach doch nicht so einen Streß!“ Ich war mittlerweile so wütend über all das, dass ich ihm sagte: „DU, wenn ich jetzt nochmal das Wort STRESS-Machen höre, dann schmier ich Dir ein paar!“ Das wäre lustig geworden, wenn wir den allerletzten Zug nach Hause nicht bekommen hätten. Im Zug schlug Robert vor, wir sollten bis zur Endstation mitfahren und dann von da aus einen Nahverkehrszug zu unserer Stadt nehmen. Der Schaffner meinte, wir sollten erst mal abwarten, es würde sicher der Anschlusszug erreicht werden.

In Naumburg hieß es dann, dass unser Zug erreicht würde, dass aber ein anderer Zug am selben Gleis halten würde, wir also aufpassen müssten, dass wir in den richtigen Zug steigen, da beide Anschluß-Züge in beide Städte hintereinander stehen würden. Dort angekommen guckte Robert auf die Wagenstandsanzeige, um unseren reservierten Wagen zu finden. Ich erklärte ihm vergebens, dass die Anordnung hinfällig sei, da dies ein außerplanmäßig haltender Zug sei, und dass zwei Züge hintereinander kommen würden, und somit keine Wagenstandsanzeige mehr gültig sei. Er solle sich lieber drum kümmern, dass wir nicht in den Zug nach Frankfurt steigen sondern in unseren richtigen Zug. Er ließ sich aber nicht davon abhalten. Auch die Durchsage, wo die Wagen halten, ließen ihn nicht umschwenken. Der Schaffner kam und erklärte ihm, dass er nicht mehr nach der Wagenstandsanzeige gehen könne. Aber auch das beeindruckte ihn nicht. „Das gibt es nicht, dass zwei Züge hintereinander halten, so lange Bahnsteige gibt es ja gar nicht.“ Dann kam unser Zug hinter dem Frankfurter. Auf einmal rannte er los und war weg. Ich hinterher und rief immer unseren Städtenamen, bis mir dann jemand sagte, wo unser Zug anfing. Auf einmal sah ich Robert wieder und schimpfte ihn, dass er weggelaufen sei. ER habe ja nur was nachfragen wollen. Das machte er dauernd, dass er, ohne was zu sagen, auf einmal verschwand. Einmal habe ich ihn drangekriegt und mich versteckt, und als er wieder kam, war ich weg. Ich kommentierte das: „Wenn man einen Hund draußen lässt, sollte man ihn auch anbinden, sonst läuft er eben weg.“ „DU bist doch kein Hund.“ „Doch, nur Hunde lässt man draußen stehen.“ Ich kann es auf den Tod nicht leiden, wenn Sehende einen einfach mit (oder ohne) Hinweis: „Warte mal da draußen“, einfach wie einen Hund vorm Laden stehen lassen, ohne einem zu sagen, wo sie hingehen, wann sie wieder da sind, und ob man so lieb wäre, mal eben beim Gepäck zu warten, sondern einfach kommentarlos verschwinden und einen stehen lassen, als sei man ein Hund oder ein Koffer.

Robert hat mich laufend wo vergessen, und ich musste erst rufen, dass er mich mitnehmen soll. Ich habe ihm ein paar Mal vorgehalten, dass uns nicht der letzte Zug nach Hause am wegfahren wäre, wären wir zwei Stunden früher gefahren, und wie riskant das beinahe geworden wäre. Während wir zu unserem Zug rannten, murrte er laufend: „MEINE Fresse, MEINE Fresse“. Ich war schon so angewidert von diesem Menschen, dass ich ihm sagte: „Wenn DU jetzt nochmals meine Fresse sagst, dann HAU ich Dir in die Selbige, und DU hast meinen Stock zwischen den Zähnen.“ Im Zug sagte ich, ich könne seine Anwesenheit keine Minute länger ertragen. Ich musste mich aber zu ihm setzen, da unsere Plätze ja reserviert waren, und es keine anderen mehr gab. Ich fragte ihn dann mehrmals: „Und, glaubst DU mir jetzt, dass zwei Züge hintereinander stehen können.“ Er wiederholte aber stur, das ginge gar nicht, da hätten keine zwei Züge Platz. Mein Einwand, dass wir ja jetzt schon drin seien, und er es spätestens jetzt merken müsste, wurde überhört. Er meinte, er wolle nun seine Ruhe haben, und das nächste Mal führe er alleine. Ich sagte nur och: „Dann zahlst Du aber das VIERFACHE wie jetzt!“ Ich sprach die ganze Fahrt über kein Wort mehr mit ihm, und als der Zug ENDLICH um 12 Uhr Mitternacht ankam, stand ich schnell auf, packte meine Sachen und rannte grußlos zur Zugtür und war weg.

Das Konzert war wirklich gut. Schade, dass bei mir die Sachen mit anderen immer so ausgehen. Ich hätte gar nicht erst mit ihm fahren sollen. Rational gesehen ist es so, aber ich denke, dass ich auch eine gewisse „Verhexung“ habe, dass mir immer solche Sachen passieren, und dass durch elektromagnetische Felder um mich herum andere Menschen sich zu mir so verhalten.

So irre das klingt, aber NUR an meinem Verhalten kann es doch nicht liegen. Ich ziehe immer nur solche Leute an, und auch Menschen, die eigentlich verträglich sind, werden in meiner Gegenwart rechthaberisch und stur. Ich löse das in anderen aus, da andere mir nicht rechtgeben können. Wenn ich nachgebe, dann bin ich die Blöde. Wenn ich aber auf meinem Recht bestehe, dann heißt es, ich reize andere dazu, mir zu widersprechen, und ich sei so stur. Aber immer nachgeben kann man auch nicht.

Ich werde kein Wochenende mehr mit anderen verbringen und die Kontakte mit anderen so kurz wie möglich halten, damit sich nicht so viel negative Energie ansammeln kann. Wenn man sich nur kurz sieht, und wenn man schnell wieder auseinander gehen kann, dann freut man sich, und es ist gut.

Allerdings hat Robert zum Beispiel Folgendes gemacht:
Als wir zum Bäcker gingen, ist er absichtlich dran vorbei gelaufen und meinte, er wollte nur testen, ob ich es merke. Solche Menschen sollte man von vorneherein gleich in den Wind schießen. Wenn ich mich aber wehre, dann heißt es wieder, ich sei empfindlich. Außerdem machen das ja alle Menschen, weil sie es spaßig finden, und dann heißt es wieder, ich verstünde keinen Spaß. Da ja alle Menschen mehr oder weniger gleich sind, und man sich die Menschen nicht aussuchen kann, die nicht so sind (die ja auch nur ganz selten zu finden sind), muß man die Menschen nehmen, wie sie sind. Daher sehe ich mittlerweile über solche Dinge hinweg, denn wenn ich mich über alles ärgern würde, hätte ich bald niemanden mehr. Somit nehme ich solche Verhaltensweisen halt hin. Zum Krach kommt es dann sowieso irgendwann, wenn sich solche Begebenheiten häufen. Meckert man gleich, ist man überempfindlich. Läßt man solche Dinge zusammenkommen, dann heißt es: DU hättest Dich schon viel früher wehren müssen.

Aus dem Katalog kann man sich halt die Menschen nicht aussuchen. Man muß die Menschen nehmen, wie sie sind, es gibt keine anderen, oder es lassen. Schade drum. Auf so jemanden kann man aber verzichten. Nur muß man dann auf die halbe Menschheit verzichten, denn viel anders sind andere auch nicht.

Hörtheater in Rendsburg

Am Samstag den 29. Mai fuhr ich um halb acht los, um die schon wochenlang vorher geplante und lange Reise nach Rendsburg zum Hörtheater anzutreten. Unter Hörtheater versteht man die Beschreibung, was auf der Bühne passiert, so dass Sehgeschädigte ebenfalls etwas von dem Theaterstück haben und informativ auf dem gleichen Stand sind wie Normalsehende.

In Hamburg klappte es mit der Umsteigehilfe, obwohl sie etwas zu spät kam, da der Zug auf einem anderen Gleis als angegeben eingefahren war. In Rendsburg angekommen wollte ich mir das Taxi sparen, da ich nicht allzu viel Geld dabei hatte, und es noch für die Unterkunftskosten reichen musste. Ich fragte nach einem Bus zum Historischen Hotel Pellihof, es gab aber keinen, das Hotel sei nur ein paar Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Eine Dame, die von ihrer Freundin abgeholt wurde, bot sich an, mich zusammen mit der ortskundigen Freundin zum Hotel zu bringen. Es gab ohnehin kein Taxi, und ohne die Hilfe der beiden netten Damen wäre ich aufgeschmissen gewesen.

Im Hotel angelangt wollte ich einen Kaffee trinken. Es gab aber dort keinen Kuchen, der Cappuccino aus einem Instantbeutel hergestellt mit übersüßter Sahne obendrauf schmeckte nach A… & F…, und es gab nur Schattenplätze im Hof. Da ich nur einen Schluck getrunken und mich dann gleich geschüttelt habe, musste ich den Kaffee nicht mal bezahlen und verließ den schattigen Platz. So beschrieb mir die Hotelfrau denWeg zum Theatercafe. Ich war leider für die Stadtführung zu spät angekommen, sonst hätte ich mitten in der Nacht aufstehen müssen, um so zeitig genug in Rendsburg zu sein. Ich setzte mich also in das Cafe und hörte mein Hörbuch weiter, aß Torte und wartete auf den Einlaß ins Theater um 16:30. Die Gruppe der Stadtführung kam auch pünktlich dort an. Ich lernte die Leute kennen, und es stellte sich heraus, dass ich einige bereits aus der Mailingliste kannte, bzw. mich einige auch von unserer ehemaligen Kassettenzeitschrift her kannten, wo ich öfter einen Beitrag aufgesprochen hatte.

Im Theater durften wir die gesamte Bühne abtasten. Die Bühnenbildnerin, die extra für unsere Fragen zur Verfügung stand, beantwortete uns alles, was wir wissen wollten, und auch der Dramaturg war für Erklärungen zur Stelle. Man hatte die Kostüme der Schauspieler auf Puppen gezogen, damit wir sie abtasten konnten. Bei der Bühnenbegehung, wo wir auch den „eisernen Vorhang beim Heruntergehen abtasten durften, der die Vorbühne von der Hauptbühne trennt, so wie den samtenen Vorhang beim Zugehen beobachten konnten, erfuhren wir viel über das Bühnenbild, das eine Wohnung in Paris darstellen sollte. Alles war mit liebevollen Details ausgeschmückt. Sogar ein Fenster mit Blick zum Eiffelturm war eingebaut. Eine Wohnungstür hinter einem Vorhang aus Schnüren deutete den Weg ins Treppenhaus an, der als Abgang für die Schauspieler diente. Die Stühle und der Tisch wurden extra in französischem Wohnstil angefertigt. Eine französische Wettzeitung lag auf dem Tisch, und dort stand auch ein rundes Aquarium mit einem Katzenfisch und dessen typischen Schnurrhaaren, nach welchen er benannt wurde, da dieser Fisch im Stück eine wichtige Rolle spielte. Unter den Stühlen waren kleine Tunnels angebracht, durch welche die elektrische Spielzeugeisenbahn fuhr, da der Protagonist ein Eisenbahn-Fan war. Neben dem Tisch stand ein durchgesessenes Sofa vor einer kitschigen Blumentapete, an der ein Fischgemälde von Matisse hing. Es gab zusätzlich noch ein altes Schränkchen mit einem alten schnurgebundenen Tastentelefon mit schwer aufzumachenden Schubladen, die ebenfalls eine Rolle im Stück spielten. Das Regal mit den Gläsern und Büchern sowie die Stereoanlage habe ich erst durch die Bühnenbeschreibung vor und während des Stückes mitbekommen.

Auf meinen Wunsch hin durften wir auch mal kurz in den Orchestergraben. Der war mit Brettern zugedeckt, da die Vorbühne gebraucht wurde. Darin standen lauter Notenständer mit je zwei Leuchten für die Noten. Man konnte mit dem Stock bis an die Decke klopfen, die ja, wie erwähnt, zu war. Auch die Seitenbühnen mit den Zügen, nicht den Eisenbahnzügen sondern den Schaltpulten für Vorhänge, Kulissen etc. durften wir uns ansehen, allerdings durften wir nicht an die Pulte fassen, damit nicht versehentlich etwas eingeschaltet wurde.

Nach der ausführlichen Bühnenbegehung gingen wir in den ersten Stock in das Cafe´ im Theater, wo wir eine Einführung in das Stück erhielten. Es handelte sich um eine Komödie mit dem Namen „Der Gast“ von David Pharao. Offenbar wird in Frankreich wenig über den Autor preisgegeben. Der Dramaturg konnte uns nur sagen, dass dieser Autor früher Sitcoms fürs Fernsehen geschrieben hat und auch schon mal eine Komödie. Es war ein ernster Stoff, der heutzutage besser in eine Komödie gepackt wird. Ein lange arbeitsloser Mann bekam Besuch von seinem potentiellen Chef und ließ sich von seinem Nachbarn beraten, wie er seine Wohnung umstylen sollte und wie er sich selbst ebenfalls darstellen musste, um den Job zu erhalten. Es ging um den Zwang zur so genannten Flexibilität, und wie weit man diese von einem Arbeitssuchenden erwartete, und welche Eigenschaften wie Biegsamkeit, Meinungslosigkeit Bereitschaft zu allem etc., von einem Arbeitnehmer verlangt wurden. So war die Komödie, die vordergründig sehr lustig war, doch sehr hintersinnig und wies mehrere sehr unerwartete Wendungen auf. Damit man als Blinder auch mitkam, erhielten wir einen Port mit einem Ohrhörer. Wenn man mit diesem Port durchs Theater lief, erhielt man Informationen, was sich links und rechts von einem befand, beispielsweise die Treppe, die Toiletten etc., und wo man sich grade aufhielt, wobei dies eingehend beschrieben wurde. So hatte ich bald eine für meine Verhältnisse gute und brauchbare Orientierung, da ich immer, wenn ich wo vorbei ging, die Infos erhielt, die Sehende so en passant mitnehmen, weil sie seitlich etwas sehen und somit eine Gesamtoientierung haben. Allerdings hörte man immer nur Bruchteile, denn sobald man drei Schritte weiter ging, wurde ein anderes Areal beschrieben. Sobald man in den Zuschauerraum kam, hörte man die Stimme der Bildbeschreiberin, die vor der Aufführung das Bühnenbild und die Schauspieler beschrieb. Während des Stückes wurden nur die notwendigsten Beschreibungen in den Dialogpausen abgegeben. Dies war sehr nötig, denn sonst hätte man zuweilen nicht mehr gewusst, von was jetzt gesprochen wird. Ein Satz wie: „Sie hielt einen Schraubenzieher über den Kopf“, erklärte dann ihre Bemerkung: „Ich bin noch nicht vorbestraft.“ Oder ein Satz wie: „Er hielt seinem Chef eine Spielzeug-Lok entgegen erklärte, dass er ihm diese schenkte, da sie eine größere Rolle im Verlauf des Stückes spielte.

In der Pause ging eine Sehende mit mir ins Cafe, die nur einfach so mit ihrem Sohn da war und einmal so einen Port ausprobieren wollte. Das Theater war nicht allzu gut besucht, aber alle hatten einen Port mit Kopfhörer, auch die Normalsehenden, die sich für Audiodeskription interessierten und einmal diese Erfahrung machen wollten.

Nach dem Stück durften wir im Café noch mit den Schauspielern diskutieren. Sie fragten uns zunächst, wie das Stück empfunden wurde. Sie äußerten ihre Unsicherheit, ob Blinde ein Stück anders aufnehmen würden. Sie fürchteten, dass allzu aggressive und laute Passagen uns aufregen würden. Sie hätten mal erlebt, dass ein Blinder auf einem Punk-Konzert das Pult zertrümmert hätte, weil es ihm zu laut war. Das Verhalten solcher Komiker fällt dann natürlich gleich wieder auf alle Blinden zurück. Wir erklärten, was wir zum besseren Verständnis eines Stückes brauchen und wünschten uns, dass auch in anderen Theatern mehr solcher Aufführungen stattfinden sollten. Ich, die ich eine von den beiden Süddeutschen Anreisenden gewesen war, äußerte natürlich nachdrücklich den Wunsch, es möge so etwas auch mal im süddeutschen Raum stattfinden. Der Dramaturg erhielt eine Stelle in Heilbronn und wollte sich darum kümmern, dass auch an seiner zukünftigen Wirkungsstätte solche Stücke mit Bildbeschreibung aufgeführt würden.

Ich wurde dann noch von den beiden Organisatoren des ganzen Vorhabens zum Hotel begleitet, da es sehr nahe am Theater war. Ich musste selbst aufsperren und hätte den Eingang nicht mehr alleine gefunden, wo es zu meinem Zimmer geht.

Am nächsten Tag, an dem mich wieder das Ehepaar, welches die Veranstaltung organisiert hatte, am Hotel abholte, gab es noch eine Matinee, bei der die Hauptdarstellerin des Abends eine Lesung aus dem Buch „Schiffbruch mit Tiger“ darbot. Sie spielte alles so lebendig, dass wir richtig mitlebten und mitfieberten. Sie suchte die wichtigsten Stellen aus diesem Abenteuerbuch mit Tiefsinn heraus, so dass man am Ende schon wusste, um was es dem Autor gegangen war. Teilweise war es lustig, gruselig, ekelerregend und dann wieder nachdenklich oder komisch.

Leider dauerte die Lesung nur eine Stunde. Ich hatte meine Rückfahrt einschließlich Umsteigehilfen ab 13:45 geplant, da mir gesagt wurde, die Lesung würde bis ein Uhr dauern. Allerdings war sie eben um zwölf schon zu Ende. Die beiden Organisatoren und der andere Besucher aus München, der bei ihnen übernachtet hatte, begleiteten mich zum Bahnhof und wollten mich eigentlich schnellstmöglich dort zurücklassen. Es gab kein Cafe, keine Bank, nichts. Die Bahnhofsmission war geschlossen, im Reisezentrum durfte ich nicht sitzen bleiben, da sie gleich Mittagspause hatten. So setzten mich die drei um 12:45 auf den zugigen und eiskalten Bahnsteig, wo ich zitternd und frierend bis 13:45 wartete. Ich hatte vorher noch gefragt, ob nicht schon um 12:45 ein Zug nach Neumünster fahren würde, so dass ich dann früher nach Hamburg käme, bzw. in Neumünster dann in einem Wartehäuschen sitzen könnte. Aber die drei verneinten. Als ich nach Neumünster kam, sagte mir der Mann von der Umsteigehilfe, dass es um 13 Uhr einen Zug DIREKT nach Hamburg gegeben hätte. Daß man bei der Rückfahrt ebenfalls direkt von Rendsburg nach Hamburg durchfahren kann, hatte ich nicht mitbedacht. In Neumünster durfte ich tatsächlich in einem Wartehaus sitzen, bis er wieder kam, um mich in den Zug zu setzen.

In Hamburg kamen wir laut Angaben der Umsteigehilfe an einem Bäckerstand vorbei, so dass ich billiger als im Zug einen Muffin und eine Tasse Kaffee erstand. Ich konnte dieses Wochenende recht viel Geld sparen, da ich auch kein Taxi brauchte. Die Fahrt und die Übernachtung waren ohnehin schon teuer genug.

Ich fand das Ganze sehr interessant und würde es wieder einmal machen. Allerdings möchte ich dann nicht sechs-sieben Stunden fahren müssen, um so ein Erlebnis zu haben. Ich hoffe, dass bald in Süddeutschland ebenfalls so etwas stattfindet. Die Schauspielerin erzählte mir noch kurz, dass sie in Hof jemanden kennt, und dass sie ihn mal auf so eine Veranstaltung ansprechen würde. Das lässt hoffen.