Donnerstag, 4. Juni 2009

Hund -- zweite Chance?

Fenja war schon ganze zwei Nächte bei mir. Sie lief die ganze Zeit umher und bellte bei jedem Geräusch, das von außerhalb der Wohnung zu vernehmen war. Kam jemand des nachts, und der Aufzug ging auf und zu, bellte sie mit ihrer tiefen Stimme, so daß ich im Bett stand. Sie muß erst noch lernen, daß das, was außerhalb der Wohnung ist, sie nicht tangiert, und sie das nicht zu bewachen braucht. Dauernd fiel ich über sie drüber, dauernd trat ich ihr auf den Fuß. Sobald ich sie mal streicheln wollte, kam ich mit meinen ungelenken Bewegungen und haute ihr eins drauf. Sie hat sich dannschon etwas distanziert. Wenn sie vor meinen Füßen lag, und ich aufstand, mußte ich die Hausschuhe unter ihr wegziehen. Wenn ich wieder kam, dachte ich, sie sei nicht mehr an diesem Platz, und trat versehentlich drauf. Sie tat mir schon leid. Das Glöckchen, das ich von der Hundeschule bei der Übergabe mit bekommen hatte, band ich ihr um, damit ich sie hören konnte, da sie immer dabei sein wollte und laufend zwischen meinen Beinen war. Aber da sie nachts herumrannte, klingelte es die ganze Nacht.

Das zweite Problem war, daß ich eine bestimmte Gassiwiese trainiert hatte, die aber wegen der Umleitungen des Verkehrs nicht mehr direkt anzufahren war. Wir hätten erst umsteigen müssen, das hätte ich aber erst lernen müssen, wo ich genau hinmuß, um sie zu dirigieren. Daher fuhren wir zu einer anderen Gassiwiese um einen See, der aber recht schwierig zu umlaufen ist. Geht man zu weit links, kann man die Böschung zum See herunterkullern, geht man zu weit rechts, kommt man auf eine Abzweigung und verläuft sich. Nun habe ich mühevoll den Weg von der Straßenbahnhaltestelle bis zu diesem See gelernt, wo ich sie dann aus dem Geschirr nehmen kann. Ich höre genau, wo die Autos langfahren, und dahinter ist die befahrene Straße, und so herum geht der Weg. Wenn ich wieder dort ankomme, muß ich die Autos hören und auf diese Querstraße zulaufen. Es gibt aber auch Stellen, wo man sich ganz böse verlaufen kann, wenn man die Pommesbude nicht mitkriegt und nicht genau dort abbiegt. Das muß ich nun noch üben. Daher hat die Trainerin mir die Fenja erst mal wieder weggenommen, damit ich erst mal selbst sicher genug auf diesen Wegen bin, um dann noch einen Hund an der Flexileine mit mir zu führen.

Als wir zur Sparkasse gingen und aus der Tür wollten, habe ich die Tür zu schwungvoll aufgemacht und nicht eingeschätzt, wo ihre Pfote ist. Die Tür glitt voll über ihre Pfote drüber und hat die Pfote zwischen Türrand und Boden eingequetscht. Sie hat furchtbar aufgejault, die Pfote schwoll an, sie humpelte nach Hause, und die Trainerin mußte mit ihr zum Tierarzt. Wenn das öfter passiert bei meinem Geschick, geht sie durch keine Türe mehr.

Bei der Haustüre ist es das Gleiche: Ich tue mir sowieso schon schwer, eine Türe aufzusperren, dann ist diese noch sehr schwer, und eine Haltestange ist zu nahe am Schloß angebracht, so daß ich beim Umdrehen der Hand jedesmal an diese Stange hinkomme. Dadurch, daß ich keine zwei Dinge auf einmal tun kann, weiß ich auf einmal vor lauter HUnd nicht mehr, wie herum die Tür aufgeht und komme nicht rein, oder die Türe geht nicht auf. Wenn ich mit Fenja reingehe, haut es ihr die schwer Türe in die Rippen. Sie rennt zu schnell zur Treppe und fetzt hoch, da sie da schon öfter so hochrennen durfte, ohne zu lernen, an der untersten Stufe stehen zu bleiben. Da muß ich aber sagen, daß die Trainerin sie immer hat hochrennen lassen, wenn sie mich mit Fenja aufgesucht hat. Auch ist Fenja von der Türe schon so geschädigt, daß sie Angst vor ihr hat und schnell die Treppe hochflitzen will. Dann muß ich noch drauf achten, daß niemand grade herunter kommt, da sie sonst nicht los läuft. Der Teufel steckt halt wie immer im Detail.
Daher muß ich die Fenja nun nach rechts nehmen, die Türe aufsperren, ohne die Leine loszulassen. Dann muß ich mit ihr reingehen, sie muß nach rechts gehen, ich muß die Türe zufallen lassen. Dann erst können wir hochgehen, wobei ich drauf achten muß, daß sie die Pfoten auf die unterste Stufe stellt und nicht gleich losrennt. Und dann eben noch, daß keiner grade runter kommt.

Auch stellten wir fest, daß ich meine Wege zwar kann, daß ich aber mehr auf Sichtmerkmale achte, die ich ja bei schwannkendem Sehen nicht mehr erkennen kann und mich demnach mehr auf taktile Merkmale verlassen muß. Ich kann dem Hund ja nicht sagen, geh mal bis zum Kaufhof, und da gehst Du dann links und suchst den Treppenabgang zur U-Bahn. Ich muß wie bei einem ferngesteuerten Auto nur sagen: Links, rechts, grade. So muß ich sie zu diesem Ziel bugsieren, und daher muß ich genau den Ablauf im Kopf haben und kann nicht kreuz und quer auf ein sichtbares Ziel drauf lossteuern. Daher muß ich alle Wege nochmal unter der Augenbinde gehen, um mir genau die Abbiegungen und die Merkmale einzuprägen, wo ich mit ihr links, rechts oder gradeaus muß. Da ich aber auch keinen Stock mit mir führe, wenn Fenja mich führt, muß ich dasselbe dann nochmal unter der Augenbinde machen aber am Arm des Trainers. Denn ich habe keinerlei Bodeninformationen mehr, weil ich keinen Stock auf dem Boden langschleife, oder ich habe keinerlei Infos mehr, wo ein Stromkasten ist, wo der oder jener Zaun ist, wo ich abbiegen muß, weil Fenja ja an allen Hindernissen vorbei geht, ich diese dann nicht mehr bemerke, und daher habe ich keinerlei "Landmarks" mehr.

Nun sind wir so verblieben, daß Fenja, sollte sich jemand anderer finden, an eine andere Blinde abgegeben werden kann, und die Sache offiziell erst mal abgeschlossen ist. Ich mache mein Mobtraining, und sollte Fenja dann noch da sein, machen wir nochmal zwei-drei Tage, und sollte es dann besser klappen, beantragen wir nochmal eine EInarbeitung bei der Kasse von 15 Tagen à vier Stunden oder mehr. Wenn es nicht klappt, dann war das Training auch nicht umsonst, denn dann kann ich die Wege auch, wenn ich nichts sehe, was ja an manchen Tagen der Fall ist. Das Training zahlen wir jetzt mal selbst, denn wie soll ich der Kasse verklickern, daß ich eine Einarbeitung mit Hund gemacht habe, nun ein Mobtraining will und dann nochmal eine Einarbeitung? Wenn die Schule Fenja für mich aufhebt, und es wäre eine Interessentin dagewesen, und es klappt mit mir wieder nicht, ist ihnen eine Interessentin durch die Lappen gegangen. Daher haben wir vereinbart, daß Fenja nur dann zu mir kommt, wenn sich bis nach meinem Mobtraining kein anderer gefunden hat. Da Fenja speziell für mich ausgesucht wurde, und da sie mich mag und nicht gleich jedem um den Hals fällt, ist es wahrscheinlich, daß sie noch da ist, wenn ich bereit zur nächsten Einarbeitungsrunde bin. Wenn man bedenkt, daß andere nur eine Einarbeitung brauchen, und ich wieder einmal doppelt- und dreifach so lang wie ein normaler Blinder brauche, ist das schon komisch. Aber ich tue mir in allem schwerer und brauche für alles länger. Schade, daß ich so gemacht bin. NIemand ist vollkommen, aber ich bin besonders unvollkommen. Eine gewisse Unvollkommenheit ist normal, da es unnormal wäre, wenn jemand perfekt wäre. Aber ich bin über das normale Maß hinaus unvollkommen und fehlerhaft. Ich möchte so gerne, daß ich mal nicht scheitere, daß ich mal was schaffe und einmal etwas zustande bringe. Und ich will Fenja, weil sie so süß ist. Sie ist halt kein sehr bodenständiger Hund, sehr leichtführig, aber dafür halt auch sehr sensibel. Ein etwas gemächlicherer und dickfelliger Hund, der sich nicht aus der Ruhe bringen läßt, ist zwar für mich ganz gut, aber der gehorcht dann auch nicht so gut, weil er sich nicht so leicht beeindrucken läßt. Ich hoffe nur, daß es mal klappt, auch wenn bei mir die Einarbeitung so lange dauert wie bei anderen die Phase der Eingewöhnung nach der Einarbeitung, wo man den Hund schon hat, sich aber noch an ihn gewöhnen und mit ihm zu einem Gespann zusammenwachsen muß. DAS wird bei mir sicher ein paar Jahre dauern. Jetzt wäre ich schon froh, wenn es überhaupt klappt, und ich nicht wieder einmal gescheitert bin. Danach habe ich kein Ziel mehr, denn dann habe ich alles, was ich mir im Leben vorgenommen habe, ausprobiert und nicht geschafft. Dann bleibt eigentlich nicht mehr viel übrig. Wenn ich dann eine neue Niere hätte, wüßte ich gar nicht, was ich damit anfangen soll, ich hätte wieder Energie, aber ich hätte keinerlei Lebensziele und -aufgaben mehr, auf welche ich dieseEnergie ausrichten und anwenden könnte. Dann bliebe nur noch daheim sitzen, die Lebenszeit absitzen und warten, bis es rum ist. Daher ist es so wichtig, daß seit 1997, wo ich Diplom gemachthabe, wieder mal was klappt, denn 12 Jahre halbwegs erfolglos rumgebrachte Zeit ist genug!